TolSax Update | Newsletter September 2021

Im September-Newsletter erinnert unser Sprecher Robert Kusche von der RAA Sachsen an die pogromartigen Ausschreitungen vor 30 Jahren, als ein aufgebrachter Mob aus Neonazis und Anwohner*innen im ostsächsischen Hoyerswerda zwei Wohnheime für Vertragsarbeiter*innen und Asylsuchende angriff. Neben dem Gedenkwochenende anlässlich dieses Jahrestags gibt es in diesem TolSax-Update wieder zahlreiche Hinweise auf Veranstaltungen und andere Möglichkeiten, in Sachsen (und darüber hinaus) aktiv zu werden. Dazu gehört auch die #unteilbar-Demonstration am 4. September in Berlin.

Zum September-Newsletter


Editorial von RAA Sachsen e.V.

Liebe Mitglieder, liebe Engagierte,

in diesem Jahr jähren sich die pogromartigen Ausschreitungen von Hoyerswerda zum 30. Mal. In den Tagen vom 17. bis 23. September 1991 griff ein aufgebrachter Mob aus Neonazis und Anwohner*innen im ostsächsischen Hoyerswerda zwei Wohnheime für Vertragsarbeiter*innen und Asylsuchende an. Die Bilder tagelanger Belagerung, fliegender Steine und Brandsätze, applaudierender Nachbar*innen gingen um die Welt.

Diese Bilder stehen, wie jene, die ein Jahr später in Rostock-Lichtenhagen entstanden, symbolisch für den erstarkten und eruptierenden Rassismus und Nationalismus im Zuge der deutschen Wiedervereinigung. Hoyerswerda ist Ausgangspunkt einer langen Serie von Angriffen, Brandanschlägen und Morden in den 1990er Jahren und reiht sich doch gleichzeitig ein in die bereits länger zurückreichende Geschichte rassistischer, antisemitischer und rechtsterroristischer Gewalt, welche mit den jahrelangen Morden des sogenannten „NSU“ sowie den Anschlägen in Halle und Hanau bis heute eine Fortsetzung findet. Wahrgenommen und klar benannt wurden Rassismus und rechte Gewalt hingegen lange Zeit nicht: verharmlost, entpolitisiert, als Taten verwirrter Einzeltäter abgetan; die Wahrnehmung der Betroffenen ausgeblendet, ignoriert, bagatellisiert, negiert.

Rechte, rassistische und antisemitische Gewalt ist jedoch für Menschen mit Migrationsgeschichte, Jüdinnen und Juden, Muslim*innen, LGBTTIQ+, Menschen mit Behinderung, Wohnungslose oder alle als politische Gegner*innen Ausgemachte eine reale Gefahr. Allein im Jahr 2020 registrierten die unabhängigen Opferberatungsstellen in Ostdeutschland, NRW und Schleswig-Holstein drei bis vier Angriffe pro Tag: von massiver Bedrohung, über Körperverletzung bis hin zu Brand- oder Sprengstoffanschlägen und Mord. Hinzukommt für die Betroffenen die Erfahrung von alltäglicher Diskriminierung, Ausgrenzung und Anfeindung.

Hoyerswerda steht auch stellvertretend für das Dulden, Zusehen, Anfeuern, Applaudieren und Mitmachen der Nachbar*innen, Kolleg*innen, der „ganz normalen“ Bürger*innen, ebenso wie für den gesellschaftlichen Umgang mit rechten, rassistischen und antisemitischen Gewalttaten. Bis zu 500 Menschen beteiligten sich an den Angriffen. Die Gewalt der Tage war so massiv, dass Sicherheitskräfte und Politik entschieden, die belagerten Wohnheime zu evakuieren. Unter dem Beifall von bis zu 1000 Schaulustigen wurden die Betroffenen, teilweise gegen ihren Willen, auf andere sächsische Orte verteilt. Viele der Vertragsarbeiter*innen wurde direkt nach Mosambik oder Vietnam ausgewiesen. Staat und Gesellschaft kapitulierten vor dem rassistischen Mob auf der Straße. Als Rassist*innen, Neonazis und Hooligans 2015 Asylunterkünfte in Freital eine Woche lang belagerten und in Heidenau zwei Nächte in Folge angriffen und 2018 in Chemnitz People of Color durch die Stadt jagten, fühlten sich einige an 1991 erinnert. Und in der Tat wiederholten sich bestimmte sächsische Muster der Unterschätzung und Verharmlosung.

Fehler einzugestehen, die Verantwortung anzunehmen, das Geschehene aufzuarbeiten und dabei klar zu benennen, ist daher eine überaus wichtige Aufgabe. Einen Grundstein legte dafür u.a. das Projekt www.hoyerswerda-1991.de, das ab 2011 die Hoyerswerdaer Stadtgesellschaft mit den Ereignissen in all seinen Dimensionen konfrontierte. Es dauerte weitere drei Jahre, bis ein an 1991 erinnerndes Denkmal eingeweiht wurde. Jahrelange Erinnerungsarbeit und öffentlicher Druck, bewegten die Stadt Hoyerswerda dazu, sich stärker mit dem Thema zu befassen. Anlässlich des 30. Jahrestages veranstaltet die Stadtverwaltung gemeinsam mit der Initiative Zivilcourage, der Volkshochschule Hoyerswerda und dem Stadtmuseum Hoyerswerda sowie weiteren Partner*innen das Gedenkwochenende »Hoyerswerda 1991: Erinnerungen – Einsichten – Perspektiven« vom 17. bis 19. September 2021.

Wenn zwei Wochen zuvor, am 4. September, #unteilbar zur Großdemonstration nach Berlin aufruft, geht es darum, für eine solidarische und gerechte Gesellschaft gemeinsam auf die Straße zu gehen (Infos zu Busanreise ab Leipzig beim Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“). Auch die Erinnerung an Hoyerswerda 1991 sollte dazu bewegen, denn #unteilbar setzt sich ein für eine solidarische Gesellschaft, in der alle selbstbestimmt und frei von Angst leben können und fordert einen gesellschaftlichen Antifaschismus. Damals wie heute sind Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus noch lange nicht überwunden. Im Gegenteil! Die Anschläge von Halle und Hanau haben das auf tragische Weise erneut vor Augen geführt. Es bedarf daher tragfähiger politischer Bündnisse – „schließen (wir) die Reihen gegen Rassismus, Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus und Antifeminismus!“ (Aufruf). Wir alle sind jetzt gefordert, klar und #unteilbar zu zeigen, dass wir eine andere Gesellschaft wollen. Die Krisen unserer Zeit verlangen dringend unser gemeinsames Einstehen für Solidarität: Für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und konsequentes Handeln gegen die Klimakrise.

Euer TolSax-Sprecher

Robert Kusche, Geschäftsführer RAA Sachsen e.V.

Ihr erreicht den Verein unter: info@raa-sachsen.com | 0351 50 02 565
Mehr Informationen über das Projekt gibt es hier: https://www.raa-sachsen.de/support

Anmerkung: Die Einleitung spiegelt nicht die Meinung des Netzwerkes oder des Sprecher_innenrates wieder, sondern einzig der Verfasser_innen.


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