Antifaschismus – ein unbequemes Konzept

Historische Blitzlichter

Zunächst lohnen kurze, punktuelle Blicke in die Geschichte. Antifaschismus als Konzept und politische Praxis entwickelte sich in Auseinandersetzung mit dem sich in den 1920er Jahren neu herausbildenden Phänomen Faschismus. Und korrespondierend mit der Entwicklung und Veränderung der Analyse des Faschismus veränderten sich die antifaschistischen Konzepte.11

Von Beginn an spielten neben dem Kampf gegen den Faschismus gesellschaftliche Zielvorstellungen und mögliche Bündnispartner:innen eine wesentliche Rolle.

Unter dem Einfluss des Stalinismus setzte sich auch in der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bis in die erste Hälfte der 1930er Jahre die Auffassung durch, Antifaschismus mit dem Sieg des Sozialismus/Kommunismus zu verknüpfen. Die gleichzeitige Ablehnung der bürgerlichen Demokratie der Weimarer Republik seitens der KPD führte in der Konsequenz zur „Sozialfaschismusthese“, die die Sozialdemokratie als linken Flügel des Faschismus verunglimpfte. Zudem beanspruchte die KPD den uneingeschränkten Führungsanspruch in Sachen Antifaschismus. All dies verhinderte in Deutschland ein breites antifaschistisches Bündnis.

Diese theoretische und praktische Fehlleistung lastet dem Konzept Antifaschismus bis in die Gegenwart an. Sie dient der Legitimation, Antifaschismus als rein „linkes“ oder eben „linksextremistisches“ Projekt12 von vor allem konservativer Seite zu denunzieren und zu verwerfen. Allerdings negiert diese Perspektive, dass es in der kommunistischen Bewegung jederzeit auch andere Einschätzungen, Konzepte und politische Praxen gab. Auch in Deutschland arbeiteten unter den Bedingungen der NS-Diktatur und spätestens mit dem Überfall auf die Sowjetunion die verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen mit sehr unterschiedlichen politischen Anschauungen und Zielen im Widerstand zusammen. Zudem gerät die antifaschistische Praxis nach dem Sturz der NS-Diktatur aus dem Blick: Zahlreiche antifaschistische Ausschüsse und Komitees – die Antifas, wie sie sich nannten – waren unter anderem aus Widerstandszirkeln in ganz Deutschland entstanden und hatten eines gemeinsam: „[…] die politische Perspektive der Einheit auf der Basis eines antifaschistischen Konsenses.“13 Dieser war allerdings nicht als politisches Programm ausformuliert (und konnte es zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht sein). Die politischen Vorstellungen sowohl der Besatzungsmächte als auch der aus dem Exil zurückgekehrten Führungskräfte von KPD und SPD beendeten deren Existenz jedoch bereits nach kurzer Zeit.


Die Entwicklungen und Perspektiven (nicht nur) in Bezug auf das Thema Antifaschismus waren in hohem Maße wechselseitig bedingt, also Reaktionen auf die Politik der jeweils anderen Seite.


Nach der Gründung der beiden deutschen Staaten kam es vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs zum einen zur Instrumentalisierung der antifaschistischen Idee als Staatsdoktrin in der DDR. Zum anderen ersetzten Antikommunismus und Totalitarismus als politische Paradigmen in der alten Bundesrepublik sehr schnell den Antifaschismus. Der Faschismus galt als besiegt und ganz im Sinne der Systemkonkurrenz bildeten die Sowjetunion respektive Bolschewismus und Kommunismus die rehabilitierten Feindbilder. Die Entwicklungen und Perspektiven (nicht nur) in Bezug auf das Thema Antifaschismus waren in hohem Maße wechselseitig bedingt, also Reaktionen auf die Politik der jeweils anderen Seite. Trotzdem ist die Leugnung eines antifaschistischen Konsenses in der Gründungsphase der Bundesrepublik schlicht falsch. Der Parlamentarische Rat wählte den 8. Mai 1949 nicht zufällig, um das Grundgesetz zu verabschieden und den Länderparlamenten zur Beschlussfassung vorzulegen. Zudem sind wesentliche Elemente des Grundgesetzes Reaktionen auf die faschistische und zukünftig zu verhindernde Vergangenheit Deutschlands. Das gilt insbesondere für Artikel 1 (Menschenwürde, unveräußerliche Menschenrechte und Bekenntnis zum Frieden) und 14 (Möglichkeit der Überführung von Grund und Boden, Bodenschätzen oder Produktionsmitteln in Gemeineigentum), Artikel 20 (die eindeutige Beschreibung der Bundesrepublik als demokratischer und sozialer Staat) oder Artikel 139 (Rechtsvorschriften der Alliierten zur Entnazifizierung bleiben in Kraft).

Jenseits der jeweiligen staatsoffiziellen Politik und dominanten Diskurse gab es jedoch in beiden Staaten widerstrebende Aktivitäten, die den Umgang mit den Themen Faschismus und Antifaschismus kritisierten und eigenständige Perspektiven entwickelten.

Die 68er-Bewegung forderte in der Bundesrepublik einen kritischen Umgang mit der faschistischen Vergangenheit ein und knüpfte an antifaschistische Konzepte an. Zweifellos kam es in diesem Zusammenhang auch zu problematischen Einschätzungen und der Denunziation der Bundesrepublik als faschistisch. Im Ergebnis dieses geschichtspolitischen Aufbruchs steht jedoch eine Reihe wissenschaftlicher Analysen und bürgerschaftlich engagierter Initiativen zur Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit.

Auch in der DDR lebten jenseits offizieller Rituale Antifaschismusideen fort, die auf zwischenmenschliche Solidarität und demokratische Rechte setzten. In den 1980er Jahren spielte dieses Thema auch in den Bürgerrechtsgruppen eine Rolle: als Protest gegen die Monopolisierung des Erinnerns durch die SED und in Auseinandersetzung mit den verstärkt öffentlich auftretenden, jedoch offiziell negierten Neonazis.

Es sollte deutlich geworden sein, dass die Ablehnung und Vermeidung von antifaschistischen Narrativen auf einer einseitigen Perspektive und durchaus gezielten Auslassung von wichtigen Momenten in antifaschistischen Bewegungen und Diskursen beruht. Zudem spielten in beiden deutschen Staaten machtpolitische Erwägungen in der (Nicht-)Verwendung von antifaschistischen Narrativen eine Rolle.


Es sollte deutlich geworden sein, dass die Ablehnung und Vermeidung von antifaschistischen Narrativen auf einer einseitigen Perspektive und durchaus gezielten Auslassung von wichtigen Momenten in antifaschistischen Bewegungen und Diskursen beruht.


Faschismus oder „Nationalsozialismus“?

Das Pro und Contra zum Konzept Antifaschismus findet seine Entsprechung in der Diskussion um die Begriffe NS und deutscher Faschismus.

In der Geschichtsschreibung wie in der politischen Diskussion hat sich der Begriff „Nationalsozialismus“ eingebürgert. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Kurz zusammengefasst geht es zum einen darum, die Besonderheit des deutschen Faschismus nicht nur hervorzuheben, sondern gleichzeitig den NS als etwas grundsätzlich anderes als die Faschismen der Zwischenkriegszeit zu markieren. Die Untersuchung von Besonderheiten, insbesondere mit Bezug auf die monströsen Verbrechen – wie die Shoa – steht außer Frage. Allerdings bedeutet die Nichtverwendung des Begriffes Faschismus für die deutsche Geschichte auch, dass der NS gleichsam aus der europäischen Entwicklung der 1920er und 1930er Jahre herausfällt, wie ein einmaliger Betriebsunfall. Er verliert seine historische Kontextualisierung. Die Forschungen der letzten fünf bis zehn Jahre kommen denn auch zu dem Ergebnis, dass der NS die spezifische deutsche Variante des Faschismus als Bewegung und an der Macht war.14

Zum anderen geht es um die politische Bedeutung der Verwendung des Begriffes Sozialismus in der Eigenbezeichnung des deutschen Faschismus. Die Idee einer sozialistischen Gesellschaft kann nicht unter nationalistischen, rassistischen, antisemitischen Vorzeichen gedacht werden. Im Gegenteil, die Idee bezeichnet eigentlich einen solidarischen, emanzipatorischen Gesellschaftsentwurf, der Ausschlüsse zu überwinden sucht. Die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse soll und muss die Einbeziehung aller ermöglichen. Freilich wurde diese Idee nicht nur durch den deutschen Faschismus, sondern ebenso durch den Stalinismus und den „real existierenden Sozialismus“pervertiert. Mit der Übernahme der Eigenbezeichnung in die wissenschaftliche und insbesondere auch politische Diskussion wird der militante Antisozialismus oder Antikommunismus des – auch deutschen – Faschismus verschleiert und die Brücke zum Totalitarismuskonzept geschlagen, was eine scheinbare Begründung für die Extremismusdebatten der Gegenwart liefert: In dem Wort „Nationalsozialismus“ fallen der „linke“ Sozialismus und der „rechte“ Nationalismus zusammen, also die sich angeblich gleichenden Ränder nach den Vorstellungen der Extremismusidee.15


Mit der Übernahme der Eigenbezeichnung in die wissenschaftliche und insbesondere auch politische Diskussion wird der militante Antisozialismus oder Antikommunismus des – auch deutschen – Faschismus verschleiert und die Brücke zum Totalitarismuskonzept geschlagen, was eine scheinbare Begründung für die Extremismusdebatten der Gegenwart liefert.


Hinzu kommt ein weiteres Moment: Die sogenannte Neue Rechte16 verfolgt ein politisches Konzept, das sich ideologisch auf den Faschismus, insbesondere in seiner italienischen Variante bezieht und vom historischen NS deutlich distanziert. In Verbindung mit einem neuen, pseudointellektuellen Sprachgebrauch gelingt es wesentlich besser, den Diskursraum für rassistische, völkische, antisemitische und autoritäre Ideen zu öffnen. Eine einseitige Perspektive auf die Auseinandersetzung mit dem NS bei gleichzeitiger Negation von dessen faschistischer Einbettung erschwert die Auseinandersetzung mit faschistischer Ideologie und Potentialen in der Gegenwart, wenn sie diese nicht gar verhindert.

Vor diesem Hintergrund erscheint es mehr als angebracht, nicht nur die vergleichende Faschismustheorie zur Analyse aktueller Erscheinungen heranzuziehen, sondern ebenso darüber nachzudenken, warum es sinnvoll und vielleicht notwendig sein könnte, von und über Antifaschismus zu sprechen.


Vor diesem Hintergrund erscheint es mehr als angebracht, nicht nur die vergleichende Faschismustheorie zur Analyse aktueller Erscheinungen heranzuziehen, sondern ebenso darüber nachzudenken, warum es sinnvoll und vielleicht notwendig sein könnte, von und über Antifaschismus zu sprechen.



11Prägnante Zusammenfassungen mit europäischen Bezügen finden sich bei Coppi (1994), Späth (2019). Ausführlichere Darstellungen und Analysen für die Zeit ab 1945 in den vier Besatzungszonen, dann der DDR und alten Bundesrepublik sowie dem vereinigten Deutschland ab 1990 bei Haug (1993a), Erlinghagen (1997). Sehr interessant ist auch die Diskussion „Brauchen wir einen neuen Antifaschismus?“ in Haug/Haug (1993).

12Auch die Begriffe „links“ und „rechts werden im politischen Kontext häufig als Kampfbegriffe schwammig oder denunzierend verwendet. Die Konturen zwischen links, -radikal oder -extremistisch sind dabei oftmals nicht auszumachen, wenn die Begriffe nicht sogar synonym gebraucht werden.

13Vgl. Kleßmann (1986): 121ff., Zitat 125.

14Schlemmer und Woller schätzen ein, dass „es heute nur noch wenige Fachleute gibt, die einen generischen Faschismusbegriff kategorisch ablehnen. Die Bemühungen, ihn aus dem Verkehr zu ziehen, sind ebenso gescheitert, wie der Versuch, den Nationalsozialismus aus dem Faschismus hinauszudefinieren und den Faschismus damit gleichsam zu entkernen“ (Schlemmer/Woller (2014): 12f.).

15Aus diesem Grund ist die kritiklose Übernahme der Eigenbezeichnung des deutschen Faschismus hochproblematisch. Um dies deutlich zu machen, wird hier im Text in der Regel die Abkürzung NS verwendet.

16Vgl. zur Neuen Rechten zum Beispiel Weiß (2017).

>> Seite 3 | „Brauchen wir einen neuen Antifaschismus?“


Aus der Publikation „Politisch Handeln im autoritären Sog“

2020 | Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen, Kulturbüro Sachsen und Netzwerk Tolerantes Sachsen | Förderhinweis | ISBN / DOI 978-3-946541-39-4 | CC-BY-NC-ND 3.0

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Redaktion TolSax

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