Der Anti-NGO-Diskurs – Angriffe auf die Zivilgesellschaft in der medialen Öffentlichkeit

Autor_innen: Maecenata Stiftung

Nichtregierungsorganisationen (NGO) und zivilgesellschaftliche Organisationen (ZGO) gelten in Demokratien als essenzielle Träger*innen zivilgesellschaftlichen Engagements: Sie bündeln Interessen, beobachten staatliches Handeln kritisch und wirken durch ihre Expertise und Netzwerke als Vermittelnde zwischen Bevölkerung und Politik. In den sozialen Medien lässt sich seit der Kleinen Anfrage der CDU/CSU vom 24. Februar 2025 jedoch eine Delegitimierung von NGO und ZGO beobachten. Nachdem in einer vorherigen Publikation die zentralen Vorwürfe faktenorientiert eingeordnet wurden, untersucht die neue Studie „Der Anti-NGO-Diskurs – Angriffe auf die Zivilgesellschaft in der medialen Öffentlichkeit“ den Zeitverlauf, die Akteurskonstellationen sowie die Argumentationsmuster, die sich in dieser Delegitimierungskampagne erkennen lassen.

Ergebnisse

  • Die YouTube-Vorstudie zeigt auf, dass vor Februar 2025 nur 1 von 25 Videos, während nach Februar 2025 19 von 25 eine negative Darstellung von NGO beinhaltete.
  • Die plattformübergreifende Untersuchung zeigt, dass die Kleine Anfrage der CDU/CSU als Katalysator fungierte, der einen sprunghaften Anstieg der NGO-bezogenen Beiträge in den untersuchten sozialen Medien zur Folge hatte. Darin dominieren klar negative Darstellungen der NGO.
  • Parteipolitisch wird die Delegitimierungskampagne in den untersuchten sozialen Medien am stärksten von der AfD betrieben.
  • Zu den hauptverantwortlichen Akteuren dieser Delegitimierungskampagne zählen neben der AfD u.a. NIUS mit Ralf Schuler und Julian Reichelt sowie Roland Tichy mit seinen Kanälen. Aber auch Oliver Luksic, ehemaliger Bundestagsabgeordnete der FDP, sticht als einer der Akteure dieser Kampagne hervor.
  • Die zentralen Vorwürfe in dem Anti-NGO-Diskurs sind: (1) staatliche Abhängigkeit und fehlende Unabhängigkeit, (2) undemokratischer Machteinfluss trotz fehlender Legitimation, (3) ökonomische Interessen hinter Gemeinnützigkeit sowie (4) fehlende Transparenz und Kontrolle.
  • Die Analyse zeigt, dass die beobachteten Entwicklungen nicht eine kurzfristige Empörungswelle widerspiegeln, sondern eine Diskursverschiebung markiert: Die Erzählung über NGO wird eine negative. Dies befördert die Tendenz, dass NGO in der breiteren Öffentlichkeit zunehmend unter einen Legitimations- und Erklärungsdruck gesetzt werden.

Schlussfolgerungen

  • Die Untersuchung offenbart die Anfälligkeit öffentlicher Diskurse für gezielte Polarisierung.
  • Außerdem stellt sich ein demokratiepraktisches Problem heraus: Wenn zivilgesellschaftliche Akteure zunehmend in ein semantisches Feld der Skepsis, Intransparenz und Kriminalisierung verschoben werden, droht nicht nur eine Schwächung der Legitimität einzelner NGO, sondern eine strukturelle Erosion der öffentlichen Wahrnehmung von Zivilgesellschaft als eigenständiger demokratischer Sphäre.
  • Es ist daher notwendig, auf die Übernahme rechtsautoritärer Narrative durch Akteure aus der demokratischen Mitte entschieden zu reagieren. Wenn Akteure der politischen Mitte oder Leitmedien unhinterfragt Begriffe, Deutungsmuster oder Problemkonstruktionen von anti-demokratischen Akteuren übernehmen, dann verschiebt sich der Möglichkeitsraum demokratischer Auseinandersetzung nachhaltig. Diese Diskursverschiebung darf nicht unwidersprochen bleiben, da sie langfristig die normative Basis der pluralistischen Demokratie aushöhlt.
  • Die Zivilgesellschaft muss sich aktiv in die Aushandlung dessen einbringen, was als legitimer Teil politischer Willensbildung gilt. Das bedeutet, nicht nur defensiv auf Angriffe zu reagieren, sondern eigene Narrative zu setzen, die die demokratische Funktion zivilgesellschaftlicher Akteure als intermediäre Instanzen zwischen Bürger*innen und Staat sichtbar machen.

Methodik

Die Untersuchung basiert auf zwei Phasen:

  • YouTube Vorstudie:
    Analyse der ersten 25 Suchergebnisse zu „Nichtregierungsorganisationen“ im Juni 2025 im Vergleich zu vor Februar 2025.
  • Plattformübergreifende Social-Media-Analyse mit der Software Junkipedia:
    Datengrundlage sind 3.602 Beiträge aus über 12.800 Kanälen aus der Datenbank Öffentlicher Sprecher (DBÖS) für den Zeitraum von Januar 2020 – Oktober 2025. Die Beiträge wurden manuell in negativ vs. positiv/neutral codiert.

Über die Autor*innen

Dr. Siri Hummel ist promovierte Politikwissenschaftlerin und seit 2023 Direktorin des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft. Die Forschungsschwerpunkte sind Demokratie und Zivilgesellschaft sowie Gleichstellung in der Zivilgesellschaft und Stiftungsforschung. Sie ist Lehrbeauftragte im Studiengang Nonprofit Management and Public Governance an der Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin.

Dr. Sascha Nicke ist promovierter Historiker und arbeitet als Programm Manager für das Tocqueville Forum bei der Maecenata Stiftung. In seiner Arbeit fokussiert er sich u.a. auf die Untersuchung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft in Deutschland und Europa.

Janek Oellers arbeitet seit Februar 2024 im Maecenata Institut als studentischer Mitarbeiter und unterstützt dabei verschiedene Forschungsprojekte. Er macht derzeit seinen Master in European Studies mit politikwissenschaftlichem Fokus.

Download der Studie (PDF)

Weitere Informationen

Redaktion TolSax

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