Zweierlei Maß? Eine Analyse des polizeilichen Umgangs mit politischem Protest in der Corona-Pandemie in Leipzig

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Bildquelle: https://www.grundrechtekomitee.de/details/zweierlei-mass

Autor_innen: Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.

Beinahe zwei Jahre sind seit den ersten in Deutschland gemeldeten Corona-Virus-Fällen vergangen, seitdem wurde eine große und diverse Anzahl an staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung des Pandemiegeschehens in der Bundesrepublik getroffen. Neben Kontaktbeschränkungen im privaten Bereich, Schließungen von Betrieben insbesondere im Gastro- und Kulturbereich oder nächtlichen Ausgangsbeschränkungen wurden vor allem größere Menschenansammlungen beschränkt oder sogar verboten. Abgesehen von Konzerten und Festivals sowie großen Kultur- und Sportveranstaltungen war hiervon besonders das Versammlungsrecht betroffen.

Die von der Politik beschlossenen Maßnahmen und Auflagen brachten eine völlig neue Komponente in den Ablauf und die Bewegungsfreiheit von Versammlungen. Die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und zum Abstandhalten, ebenso wie eine Beschränkung der Teilnehmer*innenzahl oder die Anweisung, sich ausschließlich stationär zu versammeln, gehört seit nunmehr zwei Jahren zum Standardrepertoire deutscher Ordnungsämter im Umgang mit Versammlungen in der Bundesrepublik. Je nach Bundesland oder Kommune und je nach Inzidenzhöhe handhabten Versammlungsbehörden die Beauflagung unterschiedlich. Eine ausführliche Bewertung des Umgangs mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit während der Pandemie wurde im Beitrag „Ein Jahr Versammlungsrecht in der Coronapandemie“ dargestellt.[1]

Neben der Frage, inwiefern sich unterschiedliche politische Lager an diese neu erschaffenen Auflagen halten, ist es auch aus grundrechtlicher Sicht aufschlussreich zu betrachten, wie, ob und in welchem Maße Polizei und Behörden die zusätzlichen versammlungsbezogenen Maßnahmen und Auflagen durchsetzen.

Von besonderem Interesse ist in dieser Hinsicht der Blick auf den polizeilichen Umgang mit der im öffentlichen Diskurs präsentesten Gruppierung – der Bewegung der Pandemie-Leugner*innen.[2] Betrachtet man den Protest der – in dieser Zusammensetzung neuen – Bewegung über die letzten zwei Jahre, wird deutlich, dass eine zentrale Konstante der Pandemie-Leugner*innen-Szene die konsequente Ablehnung und Missachtung von zwei versammlungsbezogenen Auflagen und Beschränkungen ist: dem Tragen von Mund-Nasen-Schutz und dem Einhalten von Abständen; zwei Maßnahmen, die wir als Grundrechtekomitee als notwendig erachten, um unter Nutzung der Versammlungsfreiheit gleichzeitig der Gefahr der Übertragung von Covid-19 verantwortlich zu begegnen.

Auch die polizeiliche Handhabe dieser Proteste in Deutschland scheint durch eine Konstante geprägt – dem häufigen Nichtbeachten und bewussten Ignorieren von Verstößen gegen Versammlungsauflagen und einer bemerkenswert zurückhaltenden Polizeistrategie gegenüber Pandemie-Leugner*innen – selbst angesichts körperlicher Angriffe gegen Journalist*innen, Gegendemonstrant*innen und Polizeibeamt*innen.[3]

Lässt sich ein solch deeskalatives und zurückhaltendes Verhalten der Polizei innerhalb der letzten zwei Jahre auch im Umgang mit anderen Protestbewegungen in Deutschland beobachten? Besonders der polizeiliche Umgang mit linkem Protest lässt auf den ersten Blick Gegenteiliges vermuten. Zwar ist der Vorwurf, die Polizei in Deutschland gehe gerne übertrieben hart und oftmals sogar rechtswidrig gegen linke Demonstrierende vor, nicht neu. Doch werfen zahlreiche Polizeieinsätze, gerade in den letzten zwei Jahren [4] vermehrt die Frage auf, ob der Neutralitätsgrundsatz hinsichtlich einer allgemeinen Gleichbehandlung von politischem Protest in den Augen der deutschen Polizei praktische Beachtung findet.

Die folgende Analyse wird sich ausgehend davon mit dem behördlichen, insbesondere mit dem polizeilichen Umgang mit politischem Protest in der Corona-Zeit auseinandersetzen. Der zentrale Fokus liegt dabei auf einer potenziell unterschiedlichen polizeilichen Behandlung von Protest in Bezug auf eine unterschiedliche politische Ausrichtung des jeweiligen Protestgeschehens. Im Blickfeld stehen dabei Proteste aus dem linken Spektrum und aus der Szene der Pandemie-Leugner*innen.

Betrachtet man den Protest von Pandemie Leugner*innen in den vergangenen zwei Jahren, wurde neben Berlin auch immer wieder zu großen Demonstrationen nach Leipzig mobilisiert. Gerade ab Herbst 2020 kann man hierbei von einer stabilen und verfestigten Proteststruktur der Leipziger Pandemie-Leugner*innen-Szene sprechen (Hummel, S. & Zschocke, P., 2021). Doch auch der Gegenprotest gegen die regelmäßige Mobilisierung von Pandemie-Leugner*innen ist in Leipzig gut organisiert.[5]

Da es in Leipzig im selben Zeitraum, unabhängig vom Protest gegen Pandemie-Leugner*innen, regelmäßig größere antifaschistische, antirassistische und solidarische Mobilisierungen gab, wird sich diese Analyse auf den polizeilichen Umgang mit Protesten im Leipziger Raum beschränken.

Ein zusätzlicher Grund, sich auf Protestereignisse im Leipziger Raum zu fokussieren, ist die Annahme, dass das polizeiliche Vorgehen gegen verschiedenen Protestrichtungen hier besonders kontrastreich ist. Auf diese Annahme wird im nächsten Kapitel tiefer eingegangen.

Der Fokus dieser Analyse liegt auf zwei Ereignissträngen mit mehreren Protestereignissen im Stadtbereich Leipzig, jeweils im Herbst 2020 und im Herbst 2021, die durch die Teilnahme mehrerer tausend Personen und teilweise heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei gekennzeichnet waren. Hinsichtlich des Vorgehens der Polizei werden im Folgenden besonders Aspekte wie Personalstärke, eine niedrige oder hohe Eingriffsschwelle, die Anzahl von Festnahmen und beispielsweise der Einsatz von schwerem Gerät wie Hubschrauber, Wasserwerfer oder Räumpanzer analysiert.

Zusätzlich wird betrachtet, wie und mit welchen Begründungen polizeiliche und politische Entscheidungsträger*innen den Umgang mit den jeweiligen Protestgeschehen rechtfertigen. Herangezogen werden hierzu insbesondere Pressestatements und Wortmeldungen der Leipziger Polizei, der Leipziger Verwaltungsspitze sowie des Sächsischen Staats- und Innenministeriums.

Die Datenbasis der Analyse stützt sich hauptsächlich auf Augenzeugen- und Medienberichte sowie ausgewählte journalistische Videoaufzeichnungen und Protestbeschreibungen. Hinsichtlich der verschiedenen Aussagen von politischen und polizeilichen Entscheidungsträger*innen wird sich auf Interviews und offizielle Pressestatements bezogen. Das Heranziehen von staatlichen Auflagen in Bezug auf die Einschränkung des Versammlungsrechts ebenso wie das Erwähnen und in Bezug setzen von verschiedenen behördlichen Auflagen in dieser Analyse soll den behördlichen und polizeilichen Umgang mit den Protestgeschehen auf Basis der jeweilig gültigen Rechtsverordnungen einordnen und dient keiner grundrechtlichen oder juristischen Einordnung.

Um die Entwicklung der Zusammensetzung der beteiligten Akteure verstehen zu können, wird in den folgenden zwei Abschnitten zunächst der Blick auf die linke Protest-Szene in Leipzig und danach auf die Szene der Pandemie-Leugner*innen geworfen. Ausgehend davon wird im Anschluss der Umgang der Leipziger Polizei mit den Protesten beider Lager in den Jahren 2020 und 2021 analysiert und hinsichtlich verschiedener Wortmeldungen polizeilicher und politischer Entscheidungsträger* innen eingeordnet. Abschließen wird die Recherche mit einem Fazit sowie einem Ausblick auf offene Fragen und mögliche weitere Betrachtungsfelder.

 

2. Die linke Protest-Szene in Leipzig und die Silvesternacht 2020

Eine linke (Protest) Szene besteht in Leipzig schon seit den frühen 80er Jahren. Damals entstanden, begünstigt durch eine starke Abwanderung und die Baufälligkeit vieler Gebäude, vor allem im Leipziger Süden zahlreiche Hausbesetzungen, die sich nach und nach untereinander vernetzten. Während Hausbesetzungen auch in anderen Leipziger Vierteln vorkamen, entwickelte sich der Stadtteil Connewitz in der Wendezeit zum inoffiziellen Zentrum einer alternativen und lebhaften Hausbesetzer*innen-Szene von Student*innen, Punks, Künstler*innen und anderen subkulturellen Strömungen.

Zunächst unbehelligt von größeren staatlichen Eingriffen entstanden in Connewitz zahlreiche kulturelle und lebensweltliche Freiräume für diverse Bevölkerungsschichten. Stark prägend zu dieser Zeit sind fast wöchentlich stattfindende Angriffe durch Neonazis auf Hausbesetzer*innen und gemeinschaftliche Wohnprojekte, in deren Folge sich eine feste antifaschistische Szene etabliert. Auch kommt es in dieser Zeit immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die von staatlicher Seite schon damals eng mit den Bewohner*innen der Hausprojekte, insbesondere mit dem Stadtteil Connewitz in Verbindung gebracht wurden (Rink, 2000).

Infolge von Legalisierungsprozessen und aggressiven staatlichen Verdrängungsprozessen, verschwinden in den 90er Jahren viele Hausbesetzungen und Projekte. Doch das Bild von Connewitz als „Zentrum linker Gewalt“ besteht aus polizeilicher Sicht und in Teilen der Verwaltung bis heute. Mit Blick auf das politische und zivilgesellschaftliche Engagement in Leipzig kann man zudem davon sprechen, dass Leipzig heutzutage eine etablierte antifaschistische und antiautoritäre Szene aufweist, was sich auch in der Parteien- [6] und Protestlandschaft [7] widerspiegelt.

Hinsichtlich linker Protestereignisse und Bewegungen der letzten Jahre ist zunächst der anhaltende und erfolgreiche, wenn auch kräftezehrende Gegenprotest gegen den Leipziger PEGIDA-Ableger „LEGIDA“ in den Jahren 2015 und 2016 zu erwähnen.[8] Auch die Proteste der weiter unten analysierten Pandemie-Leugner*innen wurden in den letzten zwei Jahren intensiv von Gegenprotesten begleitet.[9]

Parallel zur aktiven Auseinandersetzung und Bekämpfung von rassistischen und rechten Bewegungen geraten viele linke Protestbündnisse zudem immer wieder in den Konflikt mit der Leipziger Polizei. Der polizeiliche Umgang mit linken Protestereignissen in Leipzig wird häufig kontrovers diskutiert und ist durch diverse (historische) Einflüsse teilweise stark vorbelastet. Ein zentrales Ereignis der letzten zwei Jahre ist die Silvesternacht 2020 in Connewitz.

Den Ausgangspunkt des Konflikts rund um den Jahreswechsel 2019/2020 bildeten dort gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und feiernden Personen, in dessen Folge ein Polizist bewusstlos abtransportiert werden musste. Befeuert durch Schuldzuweisungen der Leipziger Polizei und Bezugnahmen mehrerer prominenter Politiker*innen entbrannte in den Tagen danach eine bundesweite Debatte über linke Gewalt gegen Polizeibeamt*innen.

Im Kontrast dazu wurde von allerdings auch die eskalative Strategie und die teils fehlerhafte Kommunikation der Leipziger Polizei kritisiert.[10] Diese hatte noch in der Nacht eine Pressemitteilung veröffentlicht, in welcher sie von einem brennenden Einkaufswagen, der direkt in eine Einheit der Bereitschaftspolizei geschoben wurde und einer Notoperation bei einem schwer verletzen Polizeibeamten sprach. Nach Recherchen der TAZ und einem veröffentlichten Video der Ereignisse, musste das Leipziger Polizeipräsidium seinen Aussagen später zurücknehmen und klarstellen, dass sich der tatsächliche Sachverhalt so nicht abgespielt hatte.[11]

Zwar wurden einzelne polizeiliche Aussagen später für rechtswidrig erklärt [12] und noch im Januar zwei hochrangige Presssprecher der Leipziger Polizei versetzt[13], doch hat der politische Diskurs rund um die Silvesternacht 2020 wohl dazu beigetragen, das Framing des Leipziger Stadtteils Connewitz als „Zentrum linker Gewalt“, nicht nur in konservativrechten Kreisen medial wie politisch weiter zu stärken.

Aufgrund der Schärfe der Debatte, dem breiten medialen Echo sowie dem zentralen Fokus auf Connewitz in untrennbarer Verbindung mit der linken Szene, ist zudem anzunehmen, dass die Leipziger Silvesternacht 2020 einen starken Einfluss auf den polizeilichen Umgang mit linken Protestbündnissen innerhalb der darauffolgenden zwei Jahre hatte.

 

3. Die Szene der Pandemie-Leugner*innen in Leipzig

Unter dem eher losen und sehr heterogenen Zusammenschluss „Bewegung Leipzig“ fanden ähnlich wie in anderen deutschen Städten auch in Leipzig kurz nach den ersten harten Lockdown-Maßnahmen im April und Mai 2020 die ersten Kundgebungen von Pandemie-Leugner*innen statt. Das Themenspektrum war dabei von Anfang an sehr heterogen. Offen antisemitische Verschwörungserzählungen waren hierbei ebenso präsent wie ein konsequentes Ablehnen wissenschaftlicher medizinischer Erkenntnisse oder der Glaube an esoterische Heilsvorstellungen.

Von Beginn an beteiligten sich zudem Akteur*innen des rechtsextremen Spektrums (Chronik.LE, 2021). Zentrales Narrativ ist dabei von Anfang an das Anzweifeln der Gefährlichkeit von Covid-19 in Verbindung mit unterschiedlichen Verschwörungserzählungen rund um die Pandemie-Bekämpfung und die – damals noch nicht vorhandene – Impfung gegen das Corona Virus. Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus in Form von Gleichsetzungen der Corona-Maßnahmen mit der Judenverfolgung in der NS-Zeit oder Vergleichen zwischen dem Ermächtigungsgesetz von 1933 und dem Infektionsschutzgesetz von 2020 dienten dabei der Provokation und Rechtfertigung (Hummel, S. & Zschocke, P., 2021).

Die Mobilisierung der Pandemie-Leugner*innen in Leipzig lässt sich, ausgehend von den ersten Veranstaltungen im April 2020 bis in die ersten Monate des Jahres 2021, in drei Phasen typisieren. Auf die erste Phase, gekennzeichnet durch einen eher lockeren und heterogenen Zusammenschluss verschiedener Strömungen und die anfängliche Sammlung unter der Initiative „Bewegung Leipzig“, folgt eine zweite Phase die stark durch die deutschlandweite Mobilisierung unter dem Label „Querdenken“ geprägt ist.

Richtungsweisend sind hierbei unter anderem zwei „Querdenken“- Großdemonstrationen im August 2020, bei denen Akteur*innen aus der Leipziger Pandemie-Leugner*innen-Szene eine zentrale Rolle spielen. Auch die „Bewegung Leipzig“ gibt sich in der Folge den Namenszusatz „Querdenken 341“. Die enge Verbindung zwischen den bundesweiten „Querdenken“-Initiativen und dem Leipziger Ableger mündet schließlich in einer bundesweiten „Querdenken“-Mobilisierung am 07.11.2020 nach Leipzig (Hummel, S. & Zschocke, P., 2021).

Diese Demonstration sticht dabei nicht nur aufgrund ihrer hohen Teilnehmeranzahl von mehreren zehntausend Personen heraus. Vor allem der offene Schulterschluss mit bekennenden Neonazis, gewalttätigen Hooligans und rechten Kampfsportlern, welche im Verlauf der Demonstration eine Vielzahl von Journalist*innen, Polizist*innen und Personen aus dem Gegenprotest angreifen, zeigt, wie normal die Anwesenheit der extremen Rechten als Teilnehmende und Radikalisierungsbeschleuniger innerhalb der Pandemie-Leugner*innen-Szene bereits wenige Monate nach den ersten Veranstaltungen geworden ist.

Die nachträglichen Bemühungen durch Vertreter*innen von „Querdenken“, die Proteste trotz gewaltsamer Ausschreitungen als „friedlich und feiernd“, darzustellen, gelingt nicht [14]. Angesichts unterschiedlicher Bewertungen der Geschehnisse des 07.11.2020, dem stärker werdenden Gegenprotest und den teils dubiosen wirtschaftlichen Interessen prominenter „Querdenken“-Vertreter[15], verliert die Initiative „Querdenken“ in den Wochen danach in Leipzig, aber auch bundesweit, an Bedeutung und Einfluss (Hummel, S. & Zschocke, P., 2021).

In der Folge findet eine sukzessive Zersplitterung der Protestszene statt. Mit dem Rückgang des Einflusses von „Querdenken“ entstehen mehrere neue Zusammenschlüsse, darunter die Gruppen „Eltern stehen auf“ und „Bürgerbewegung Leipzig“. Letztere, deren Ausrichtung im Vergleich zur „Bewegung Leipzig“ deutlich rechter[16] und zudem stärker durch Verschwörungserzählungen geprägt ist, wird unter anderem durch die ebenfalls im Frühjahr 2021 gegründete rechtsextreme Gruppierung „Freie Sachsen“ unterstützt.

Als regionaler Zusammenschluss etablierter Rechtsextremer, darunter Mitglieder von „Pro-Chemnitz“, der NPD und der Partei „die Rechte“, spielt die Gruppierung „Freie Sachsen“ mittlerweile eine zentrale Rolle in Bezug auf die Mobilisierung der Pandemie-Leugner*innen-Szene in Sachsen.[17]

Allerdings gehen parallel zum Sinken der Covid19-Fallzahlen in den Sommermonaten 2021 auch die Protestaktivitäten der Pandemie-Leugner*innen deutlich zurück. Mit dem erneuten starken Ansteigen der Corona-Fallzahlen in Sachsen im Spätherbst 2021 und den damit verbundenen pandemiebekämpfenden Restriktionen und Maßnahmen, ist eine wiederkehrende Mobilisierung der Pandemie-Leugner*innen zu beobachten.

Den Auftakt stellt dabei eine von der „Bürgerbewegung Leipzig“ sowie der „Bewegung Leipzig“ organisierte Demonstration am 06.11.2021 dar, ein Jahr nach der Eskalation rund um die Demonstration vom 07.11.2020. Im weiteren Verlauf verkleinern sich die Proteste erneut. Insbesondere die rechtsextreme Gruppierung „Freie Sachsen“ mobilisiert in der Folge in ganz Sachsen verstärkt dezentral zu selbsternannten „Spaziergängen“, welche zum Ende des Jahres 2021 deutschlandweit zur Hauptaktionsform des Protests der Pandemie-Leugner*innen-Szene werden.

Hierbei handelt es sich um unangemeldete Aufzüge, welche gezielt als „Spaziergänge“ beworben werden, mit dem Ziel, Auflagen und Verbote der Versammlungsbehörden zu umgehen. Ein Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die erneute drastische Einschränkung des Versammlungsrechts in Sachsen im Herbst 2021, der zufolge jede Versammlung auf eine maximale Teilnehmer*innenzahl von 10 Personen zu beschränken war.[18]

 

4. Polizeilicher Umgang mit politischem Protest in Leipzig

Seit Beginn der Proteste im Mai und April 2020 wurden in Leipzig über hundert Veranstaltungen der Pandemie-Leugner*innen dokumentiert. Die Protestformen reichten dabei von Demonstrationen über Autokorsos bis hin zu Tanzdemos, Meditationsrunden und nicht angemeldeten Aufzügen welche wie bereits erwähnt häufig als „Spaziergänge“ bezeichnet wurden (Chronik.LE, 2021).

Doch gegen diesen Protest, der von Anfang an von Akteur*innen der (extremen) Rechten begleitet wurde und stark durch teils antisemitische und geschichtsrevisionistische Ideologien geprägt war, regte sich Widerstand in Leipzig. Insbesondere das Bündnis „Leipzig nimmt Platz“ hat die Protestbewegung der Pandemie-Leugner*innen von Anfang an kritisch begleitet und in den letzten zwei Jahren teils wöchentlich zu Kundgebungen und Blockaden gegen Veranstaltungen von Pandemie-Leugner*innen aufgerufen.[19]

Auch unabhängig des Protests rund um die Corona-Pandemie kam es in Leipzig im Zuge der „Black Lives Matter“-Bewegung und weiteren antifaschistischen und solidarischen Initiativen zu Demonstrationen mit teils mehreren tausend Teilnehmer*innen.[20]

Nicht alle der in Leipzig angemeldeten Demonstrationen konnten ungehindert stattfinden. Neben grundlegenden Auflagen wie dem Tragen von Masken oder der Einhaltung eines Mindestabstandes wurden viele Demonstrationen und Kundgebungen von der Versammlungsbehörde auch in ihrer Teilnehmer*innenzahl begrenzt oder gänzlich verboten. Wie in der Einleitung bereits erwähnt wurde, ist das polizeiliche Vorgehen hinsichtlich eines konsequenten Umgangs mit Verstößen gegen Corona-Auflagen stark vom jeweiligen politischen Protestklientel abhängig.

Da die Proteste von Pandemie-Leugner*innen leicht zeitversetzt zu den Corona-Wellen bereits 2020 begannen, beginnt auch die Analyse des polizeilichen Umgangs mit politischen Protesten in Leipzig im Jahr 2020 und schließt Protestereignisse bis zum Ende des Jahres 2021 mit ein.[21]

 

4.1 Politische Proteste im Jahr 2020

Parallel zur globalen „Black Lives Matter“- Protestbewegung, im Zuge derer es im Frühsommer 2020 auch in Leipzig zu Demonstrationen mit mehreren Tausend Teilnehmer*innen kam,[22] war in Deutschland wie in Leipzig auch eine starke Mobilisierung der Pandemie-Leugner*innen-Szene zu beobachten. Im Anschluss an den ersten Corona-Lockdown in Deutschland fanden bereits im Mai 2020 die ersten Proteste in Leipzig statt.

Durch die Bezeichnung des „Spaziergangs“ wurde dabei von Anfang an versucht, die geltenden Versammlungsbeschränkungen zu umgehen (Chronik.LE, 2021). Trotz mehrfachen Missachtungen von Auflagen wie Maske tragen und Abstand halten, interessierte sich die Leipziger Polizei zunächst wenig für die Aufzüge der Pandemie-Leugner*innen. Obwohl antisemitische Verschwörungserzählungen auf den verschiedenen Kundgebungen eine zentrale Rolle spielen, die Proteste früh durch die Teilnahme bekennender Rechtsextremist*innen auffallen und auch auf der Straße eine deutlich zunehmende Radikalisierung zu beobachten ist, bleibt die Begleitung der Demonstrationen meist der Leipziger Ordnungsbehörde überlassen. Diese ist mit dem Durchsetzen der diversen „neuen“ Auflagen wie Abstand halten oder die Pflicht zum Tragen einer Maske teilweise überfordert.[23]

Anders sieht der behördliche und polizeiliche Umgang mit dem ebenfalls zunehmenden Gegenprotest aus. Insbesondere bei Veranstaltungen des Aktionsbündnisses „Leipzig nimmt Platz“ wurde von Anfang an und auch im weiteren Verlauf des Jahres penibel auf das Einhalten der verschiedenen Auflagen wie Abstand halten und Maske tragen geachtet, obwohl auf dieser Seite keine derart konsequenten Verstöße wie auf Kundgebungen von Pandemie-Leugner*innen beobachtet werden.[24]

Selbst nachdem es unter der Initiative „Querdenken“ bei zwei Großdemonstrationen von Pandemie-Leugner*innen in Berlin zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam – darunter die versuchte Stürmung des Reichstages am 29.08.2020 –, bei denen auch die Leipziger Pandemie-Leugner*innen-Szene eine zentrale Rolle spielte, änderten sich Auffassung und Umgang der Polizei in Leipzig nicht.

Schließlich wurde am 07.11.2020, kurz nachdem in Sachsen erneut Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus beschlossen wurden,[25] auch in Leipzig zu einer „Querdenken“-Großdemonstration mit bis zu 40.000 Teilnehmer*innen mobilisiert. Nachdem die Polizei die Hauptversammlung aufgrund zahlreicher Verstöße gegen die Maskenpflicht und Abstandsregel knapp zwei Stunden nach Beginn auflöste, kam es, angeführt von einer Gruppe aus mehreren hundert Neonazis und Hooligans, auch hier zu teils heftigen Ausschreitungen und dem Durchbrechen von Polizeiketten.

Ohne wirkliche Gegenwehr seitens der Polizei, zogen in der Folge mehrere Tausend Personen über den Leipziger Innenstadtring. Für „Querdenken“ ebenso wie für die extreme Rechte ein nicht zu unterschätzender symbolischer Erfolg. Aus dem Aufzug heraus wurden Polizeibeamt*innen immer wieder gezielt angegriffen, mit Flaschen beworfen und mit Leuchtmunition beschossen. Darüber hinaus wurden zahlreiche Journalist*innen und Gegenprotestant*innen ebenfalls mit Flaschen beworfen und teils massiv körperlich angegriffen.[26] Parallel dazu blockierten zahlreiche Polizeikräfte den Gegenprotest.[27]

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union vermeldete einen Tag später, dass im Zuge der „Querdenken-Demonstration“ mindestens 38 Pressevertreter*innen aktiv an ihrer Arbeit gehindert wurden, davon mindestens neun durch die Polizei.[28] Insgesamt registrierte die Leipziger Polizei am 07.11.2020 102 Straftaten und 140 Ordnungswidrigkeiten, 31 Personen wurden festgenommen und nach Polizeiangaben 31 Beamt*innen verletzt.[29]

Trotz des Einsatzes von über 3000 Beamtinnen aus zehn verschiedenen Bundesländern, zweier Wasserwerfer- und einer Hubschrauberstaffel, gelang es der Polizei weder die Auflagen auf der Demonstration durchzusetzen (Tragen von Mund-Nasen-Schutz, Abstand halten, Pflicht zu einer ortsfesten Versammlung), noch die Angriffe gegen sich selbst, den Gegenprotest und zahlreiche Journalist*innen durch erkennbar organisierte und gewaltaffine Rechtsextreme zu unterbinden.

Die Polizeidirektion Leipzig war zwar von über 20.000 Demonstrant*innen ausgegangen, konkrete Gefahrenprognosen in Bezug auf eine grundsätzliche Missachtung der Corona-Schutzverordnung oder eine Prognose gewalttätiger Ausschreitungen führte sie im Vorfeld, zumindest öffentlich, nicht an.[30] Bereitstehende Wasserwerfer, Räumpanzer und Hubschrauber kamen erst am Abend zum Einsatz, allerdings nicht, um gegen den eskalierten Protest der „Querdenken“-Veranstaltung einzugreifen, sondern um im Leipziger Stadtteil Connewitz brennende Barrikaden zu löschen und Sachbeschädigungen zu unterbinden, verletzte Polizeibeamt*innen oder Journalist*innen gab es dort keine.[31]

Schon zwei Wochen später kam es am 21.11.2020 erneut zu einem größeren Aufzug von Pandemie-Leugner*innen in Leipzig. Auch diesmal wurde versucht, entgegen den Auflagen über den Leipziger Innenstadtring zu laufen. Dies scheiterte allerdings durch die Blockaden des zahlenmäßig größeren Gegenprotests und weniger durch ein konsequentes Vorgehen der Polizei  (Chronik.LE, 2021).

Nach unzähligen Verstößen gegen die Corona-Schutzverordnung und Angriffen auf Gegendemonstrant*innen und Polizeibeamt*innen kesselte die Polizei zwischenzeitlich mehrere hundert Pandemie-Leugner*innen ein, ließ diese allerdings trotz mehrfacher Durchbruchsversuche anschließend ohne Identitätsfeststellung abziehen.[32] Dass die Leipziger Polizei auch anders kann, zeigte sie wiederum nur eine Woche später.

Im Vorfeld einer angemeldeten und stationären Kundgebung am 29.11.2020 unter dem Motto „Weg mit dem PKK-Verbot“ mit rund 200 Teilnehmer*innen, kesselten Polizeikräfte über 70 Personen, darunter viele Minderjährige, mit Begründung einer unzulässigen Gruppenbildung (Verstoß gegen die Corona-Schutzverordnung) ein.

Der Polizeikessel wurde erst nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung aller Personen beendet. Dabei wurden alle Teilnehmer*innen fotografiert und mussten sich teilweise sogar entkleiden.[33] Im Vorfeld dieser Aktion kam es weder zu Gewalt gegen Polizeibeamt*innen noch zu schwerwiegenden Verstößen gegen die Sächsische Corona-Schutzverordnung, die Betroffenen befanden sich lediglich auf dem Weg zu einer angemeldeten Folgekundgebung. Das Kesseln aufgrund von Verstößen gegen geltende Corona- Auflagen war in dieser Hinsicht ohne Grundlage und völlig unverhältnismäßig.[34]

 

4.2 Politische und polizeiliche Statements zum Umgang mit den Protesten I

Betrachtet man die Äußerungen polizeilicher und politischer Entscheidungsträger*innen im Vorfeld und nach den verschiedenen Protesten, ist auffällig, dass der Protest von Pandemie-Leugner*innen weder nach konsequenten Missachtungen von behördlichen Auflagen noch nach heftigen Übergriffen auf Polizist*innen und Medienvertreter*innen wirklich verurteilt wird.

So erwähnte der Sächsische Innenminister Roland Wöller in einer Pressekonferenz am Tag nach den Geschehnissen des 07.11.2020 die Angriffe durch Neonazis, Hooligans und Kampfsportlern auf Presse und Polizei mit keinem Wort. Er behauptete zudem: „Die Polizei hat den friedlichen Verlauf und das Abströmen der Teilnehmer gewährleistet und gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen verhindert. In der späteren Nacht ist es dann wiederholt zu gewalttätigen Ausschreitungen im Stadtteil Connewitz gekommen […] Diesen wiederholten und sinnlosen Gewaltausbruch verurteile ich scharf“[35]. Wöller leugnete hier nicht nur den Umstand, dass es im Laufe der „Querdenken“-Demo sehr wohl zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in Form von Angriffen durch Teilnehmer*innen des Aufzugs auf Journalist*innen und Gegenprotestierende kam, sondern deutete den durch das Durchbrechen der Polizeikette selbst herbeigeführten Marsch über den Leipziger Innenstadtring zu einem polizeilich kontrollierten„Abströmen der Teilnehmer“ um.

Schon im nächsten Satz verurteilte er allerdings „gewalttätige Ausschreitungen“ in Connewitz. Nicht nur handelte es sich hierbei angesichts der außer Kontrolle geratenen „Querdenken“- Versammlung mit zehntausenden Teilnehmer*innen um einen absoluten Nebenschauplatz Auch standen die dortigen „gewalttätigen Ausschreitungen“, welche primär die Form von Sachbeschädigungen und brennenden Blockaden annahmen, in keinem Verhältnis zu den zahlreichen Übergriffen und tätlichen Angriffen auf Polizei, Gegenprostierende und Pressevertreter*innen durch Teilnehmer*innen der „Querdenken“-Demonstration, insbesondere durch bekennende Neonazis und andere rechtsextreme Kader. Auch der Leipziger Polizeipräsident Torsten Schultze sprach im Anschluss von einer weitgehenden Verhinderung von Gewalttätigkeiten und Gewährleistung eines friedlichen Verlaufs des Versammlungsgeschehens.[36]

Verantwortung für den desaströsen Polizeieinsatz übernahm weder die Leipziger Polizei noch das Sächsische Innenministerium. Letzteres verwies in Person von Innenminister Wöller – ebenso wie der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung – auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Bautzen, welches das Verbot der „Querdenken“- Versammlung aufgehoben hatte und dadurch „die größte Corona-Party“[37] zugelassen hätte.

Nach Kritik an der unterschiedlichen polizeilichen Behandlung von politischem Protest durch die Linken-Abgeordnete Juliane Nagel, im Hinblick auf das harte Vorgehen gegen die linke pro-kurdische Kundgebung und den über 70 erteilten Ordnungswidrigkeiten, verwies die Leipziger Polizei auf den Neutralitätsgrundsatz.[38] Doch gerade nach diesem Grundsatz ist das Vorgehen der Polizei Leipzig in Bezug auf die lasche Haltung selbst gegenüber gewaltsamen Aufzügen von Pandemie-Leugner*innen und der niedrigen Eingriffsschwelle gegenüber linken Versammlungen und Gegenprotest alarmierend.

 

4.3 Politische und polizeiliche Statements zum Umgang mit den Protesten I

Auch 2021 kam es zu diversen Protesten in Leipzig. Zwar spielte die Initiative „Querdenken“ hierbei keine große Rolle mehr, doch sorgten neu gegründete Gruppierungen wie die „Bürgerbewegung Leipzig“ oder die „Freien Sachsen“ dafür, dass der Protest der Pandemie-Leugner*innen anhielt. Viele linke Bündnisse, die aufgrund der Pandemie-Situation im Jahr 2020 weitgehend auf größere Demonstrationen verzichtet hatten (eine Ausnahme bildete hierbei die „Black Lives Matter“-Demonstration am 07.07.2020 mit geschätzten 15.000 Teilnehmer*innen) mobilisierten ebenfalls wieder stärker. Ähnlich wie im Jahr 2020 kam es im Herbst 2021 in Leipzig erneut zu mehreren Demonstrationen mit hohem Konfliktpotential und einem selektiven Vorgehen der Leipziger Polizei.

Den Auftakt bildete eine Solidaritätsdemonstration für die Studentin Lina E. am 18.09.2021, die zu diesem Zeitpunkt fast ein Jahr in Untersuchungshaft war. Angeklagt ist sie wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung, welche gezielt Personen aus der rechten Szene angegriffen haben soll. Zur „Wir sind alle Linx“- Demo wurde zuvor deutschlandweit mobilisiert, mindestens 3500 Teilnehmer*innen nahmendaran teil.[39]

Die Leipziger Polizei ließ früh verlauten, dass sie von einem gewalttätigen Verlauf der Demonstration ausgehe und auch der sächsische Inlandsgeheimdienst warnte vor einer bundesweiten Mobilisierung aus der „linksextremen“ und „autonomen Szene“.[40] In der Konsequenz rückte die Polizei mit einem Großaufgebot von mehreren Hundertschaften aus fünf verschiedenen Bundesländern und einer Personalstärke von knapp 1000 Polizeibeamt*innen an. Auch Wasserwerfer und Hubschrauber standen bereit.[41]

Die Demonstration selbst blieb bis auf einzelne Zwischenfälle von Sachbeschädigungen weitgehend friedlich, Auseinandersetzungen mit der Polizei gab es während des Aufzugs nicht. Nach Beendigung der Demo im Leipziger Stadtteil Connewitz kam es zu Steinwürfen auf Polizeibeamt*innen und Polizeiautos sowie zum Abbrennen von Barrikaden. Anschließend setzte die Polizei Wasserwerfer, die zunächst zum Löschen herangezogen wurden, auch gegen Personen ein und besetzte in der Folge den gesamten Bereich rund um das Connewitzer Kreuz. Dabei wurden auch Journalist*innen gezielt angegangen und Personen teils willkürlich aus anliegenden Gaststätten, Geschäften und Wohnungseingängen geräumt. Zusätzlich zu den Wasserwerfern kamen Räumpanzer und Hubschrauber zum Einsatz.[42]

Laut Leipziger Polizei wurden insbesondere Ermittlungsverfahren wegen (schwerem) Landfriedensbruch und Sachbeschädigungen eingeleitet, eine genaue Zahl der Ordnungswidrigkeiten und Straftaten wurde im Anschluss an die Geschehnisse nicht genannt. Laut eigenen Angaben wurden sieben Polizeibeamt*innen leicht verletzt.[43] Die Auseinandersetzungen nach der „Wir sind alle Linx“- Demonstration schlug im Anschluss hohe Wellen. Politiker*innen von CDU und AFD schossen sich öffentlich auf die Demo-Anmelderin Juliane Nagel, Abgeordnete der LINKEN, ein. Der sächsische Innenminister Roland Wöller verurteilte Gewalt auf der Demonstration scharf und hinterfragte im Zusammenhang mit der Anmeldung der Demonstration die rechtsstaatliche und demokratische Einstellung der Partei die LINKE.[44] Die Vorfälle rund um die Demonstration wurden auf Antrag der AFD zudem anschließend in einer Sondersitzung des sächsischen Innenausschusses thematisiert.[45]

Nur einen Monat später wurde von verschiedenen linken Bündnissen erneut nach Leipzig mobilisiert. Unter dem Motto „Alle zusammen – autonom, widerständig, unversöhnlich“ sollten am 23.10.2021 drei Demonstrationszüge durch Leipzig ziehen und sich im Stadtteil Connewitz zu einer Endkundgebung treffen – erwartet wurden mehrere tausend Teilnehmer*innen. Allerdings wurden diese drei Demonstrationen auf Basis von Lageeinschätzungen des sächsischen Inlandsgeheimdienstes sowie Gefahrenprognosen der Leipziger Polizeidirektion, denen zufolge es zu Gewalt und Ausschreitungen kommen könne, am 19.10.2021 von der Stadt Leipzig verboten. Diese drastische Entscheidung rechtfertigte die Leipziger Versammlungsbehörde durch die Angabe der Polizeidirektion Leipzig, sie „habe keine geeigneten polizeilichen Maßnahmen oder Mittel, die zu erwartenden Tathandlungen unterbinden zu können“[46].

Das Verbot wurde in der Folge mithilfe einer enormen Polizeipräsenz umgesetzt. In mehreren Stadtteilen wurden hierfür Kontrollbereiche eingerichtet, innerhalb derer das ganze Wochenende über verdachtsunabhängige Personen- und Taschenkontrollen durchgeführt werden konnten.[47] An mehreren Orten wurde bereits ab dem frühen Morgen der Auto- und Bahnverkehr kontrolliert. Insgesamt sorgten über 2000 Polizist*innen, darunter Beamt*innen aus neun verschiedenen Bundesländern, der Bundespolizei und der Leipziger Polizeidirektion dafür, dass es in Leipzig am 23.10.2021 zu keinerlei Demonstrationsgeschehen kam.[48]

Auf Basis eigener Prognosen und Informationen aus anderen Sicherheitsbehörden zeigte die Leipziger Polizei hier, dass sie organisatorisch in der Lage ist, selbst ein generelles Versammlungsverbot in Bezug auf eine Mobilisierung mehrerer tausend Personen konsequent durchzusetzen, wenn sie denn willens ist. Wie unterschiedlich polizeiliche Gefahrenprognosen erstellt beziehungsweise öffentlich herangezogen werden, um eine Demonstration zu beauflagen, sah man wiederum zwei Wochen später bei einer erneuten breiten Mobilisierung der Pandemie-Leugner*innen nach Leipzig.

Ein Jahr nach der in der Szene gefeierten „Querdenken“-Demonstration des 07.11.2020 wollte die Pandemie-Leugner*innen-Szene am 06.11.2021 bewusst an die damals entstandenen Bilder, darunter den Marsch auf dem Leipziger Innenstadtring, anknüpfen.[49] Obwohl bei der Demonstration ein Jahr zuvor zahllose Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnung dokumentiert wurden, es zu gezielten Angriffen auf Journalist*innen, Polizeibeamt*innen und Gegenprotestierende kam und die Polizei selbst zugab, zwischenzeitlich die Kontrolle über das Protestgeschehen verloren zu haben, fanden sich weder in den Pressemitteilungen der Stadt Leipzig noch in Mitteilungen der Leipziger Polizei Hinweise darauf, dass die Behörden Rechtsbrüche oder Ausschreitungen erwarten. Auch der Sächsische Inlandsgeheimdienst meldete sich nicht öffentlich zu Wort.

Zwar war die Polizei am 06.11.2021 mit einem Großaufgebot von über 1500 Beamt*innen in der Leipziger Innenstadt präsent, doch wiederholten sich die Szenen des 07.11.2020 in Ansätzen auch an diesem Wochenende. Obwohl das Ordnungsamt mit Verweis auf hohe Corona-Fallzahlen in Sachsen alle an diesem Tag stattfindenden Versammlungen auf eine maximale Teilnehmer*innenzahl von 1000 Personen beschränkte und zudem eine Pflicht zu stationären Kundgebungen erließ, gelang es mehreren hundert Pandemie-Leugner*innen, durch die Leipziger Innenstadt zu ziehen. Dabei wurden immer wieder Polizeibeamt*innen und auch Reporter*innen tätlich angegriffen. Unter den Protestierenden befanden sich erneut zahlreiche Neonazis, welche gezielt Journalist*innen angriffen.[50]

Im Laufe des Abends sprach die Polizei 300 Platzverweise aus, kesselte zeitweise über 500 Personen ein, leitete über 600 Ordnungswidrigkeitsverfahren ein und registrierte fast 50 Straftaten. Schwerpunkte der registrierten Straftaten waren nach Polizeiangaben neben tätlichen Angriffen auf Vollstreckungsbeamte insbesondere Widerstandshandlungen, Beleidigungen und Körperverletzungen. Auch wurde wegen Landfriedensbruch und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ermittelt.[51] Wenngleich das Vorgehen der Polizei im Gegensatz zum Polizeieinsatz des 07.11.2020 als deutlich konsequenter bezeichnet werden kann – dies hängt sicherlich auch mit der im Vergleich geringeren Teilnehmer*innenzahl zusammen – bleibt die Frage, weshalb die Leipziger Polizei dem Gewaltpotential der Pandemie-Leugner*innen-Szene erneut nicht gewachsen schien. Hinweise, dass es am 07.11.2020 ebenso wie am 06.11.2021 zu einer breiten Mobilisierung, in der gut vernetzten rechtsextremen und gewaltaffinen Szene kommen würde, gab es zuhauf.[52]

Auch die polizeiliche Begründung nach den Ausschreitungen des 07.11.2020, derer zufolge die Protestierenden schlicht zu übermächtig gewesen seien,[53] erscheint wenig glaubwürdig. Denn dass die Leipziger Polizei auch breite Mobilisierungen erfassen und sogar drastische präemptive Maßnahmen durchsetzen kann, wenn sie denn will, hat sie in den vergangen zwei Jahren gezeigt – insbesondere bei linken Demonstrationen.[54]

 

4.4 Politische und polizeiliche Statements zum Umgang mit den Protesten II

Wie schon nach den Geschehnissen des 07.11.2020 äußerte sich die Sächsische Staatsregierung nicht zu den körperlichen Übergriffen durch Pandemie-Leugner*innen am 06.11.2021. Die an diesem Tag wieder deutlich sichtbare Präsenz und zentrale Rolle gewaltaffiner Rechtsextremer innerhalb der Pandemie-Leugner*innen-Szene in Leipzig, wurde von dieser Seite erneut nicht erwähnt. Allgemein ist auffällig, dass aus dem CDU-geführten Sächsischen Staats- wie Innenministerium wenig konkrete Kritik an der Corona-Leugner*innen-Szene geäußert wurde.

Wenn doch, beschränkte sich diese Kritik meist ausschließlich auf die Missachtung von Corona-Auflagen, nicht auf die Verbreitung von (antisemitischen) Verschwörungsmythen, nicht auf das Infragestellen der Gefährlichkeit von Covid-19, nicht auf zahlreiche Umsturz- und Mordfantasien gegen Politiker*innen und nicht einmal auf körperliche Angriffe gegen Presse- und Polizeivertreter*innen. Durchaus anders äußerte sich der Leipziger SPD-Oberbürgermeister Burkhard Jung. Bereits im Vorfeld der „Querdenken“-Demonstration am 07.11.2020 zeigte er „keinerlei Verständnis für die Massendemonstration“, und bezeichnete diese als „unverantwortlich, frech, unsolidarisch und hoch riskant“[55].

Auch kritisierte er in diesem Zusammenhang die in seinen Augen nicht ausreichende Abgrenzung der „Querdenken-Protestbewegung“ gegenüber Rechtsextremen.[56] Nach der erneuten Eskalation der Geschehnisse am 06.11.2021 wählte er noch deutlichere Worte: „Nun ist die Maske endgültig gefallen! Spätestens seit gestern muss allen klar sein, dass die sogenannte Querdenker-Bewegung nicht nur die Begleitung von rechtsextremistischen Kreisen in Kauf nimmt, sondern sich kalkuliert gewalttätig unterstützen lässt. Sie haben keinerlei Berührungsängste zur radikalen Rechten, verbünden sich sogar offen mit Neonazis. Diese unsäglichen Proteste sind antidemokratisch unterwandert, verletzen bewusst die Regeln und Gesetze und sind Ausdruck einer egoistischen, unsolidarischen Haltung“ [57].

So deutlich die Aussagen des Oberbürgermeisters sind, ist doch anzumerken, dass die Stadt Leipzig in der Entwicklung der Pandemie-Leugner*innen-Bewegung eine wichtige Rolle gespielt hat. Gerade das anfangs sehr zögerliche Vorgehen des Leipziger Ordnungsamtes beim Durchsetzen von Auflagen bei Protesten von Pandemie-Leugner*innen dürfte mit dazu beigetragen haben, dass sich die Szene in Leipzig verfestigen und radikalisieren konnte.

Betrachtet man diverse Protestereignisse der letzten zwei Jahre ist auffällig, dass neben der polizeilichen Ungleichbehandlung von politischem Protest in Leipzig auch die Wortmeldungen von politischen Entscheidungsträger*innen sehr unterschiedlich ausfallen.

Während, wie bereits erwähnt, selbst im Anschluss an gewaltvolle Proteste durch Pandemie-Leugner*innen von Seiten der Sächsischen Staatsregierung meist wenig kritische Stimmen zu hören sind, sieht das bei linken Protesten deutlich anders aus. Insbesondere das sächsische Innenministerium in der Person von Roland Wöller spart nicht an dramatischen Verurteilungen, gerade wenn es um die Chiffren „Connewitz“[58] und Proteste des linken Spektrums geht.

Nicht im Verbot der Internetplattform „Indymedia Linksunten“, sondern in Bedrohungen gegenüber einer taz-Journalistin und dem Werfen von Steinen auf Polizeikräfte sah Wöller einen Angriff auf die Meinungsfreiheit und „die friedliche Gemeinschaft“.[59] Fälle von Sachbeschädigung (Flaschen und Farbbeutelwürfe auf eine Polizeistation) auf der „Wir sind alle Linx“- Demo verurteilte er als gewalttätige Handlungen.[60] Selbst angesichts der von körperlicher Gewalt geprägten „Querdenken“-Demonstration am 07.11.2020 verurteilte er ausschließlich linke Sachbeschädigungen in Connewitz.[61]

Äußerte sich Wöller wiederum über Demonstrationen und rechtswidrige Aufzüge von Pandemie-Leugner*innen, ignorierte er Angriffe (körperliche Angriffe sowie Pyro- und Flaschenbewurf auf Polizist*innen, Journalist*innen und Gegendemonstrant*innen), zeigte Verständnis für den Protest und wies auf die zentrale Stellung der Versammlungsfreiheit hin.[62]

Das Herausheben des Stellenwerts der Versammlungsfreiheit und der Meinungsfreiheit, im Verbund mit einem bewussten Verweisen auf die Verhältnismäßigkeit polizeilicher Maßnahmen, scheint eine häufig genutzte Kommunikationsstrategie polizeilicher und politischer Entscheidungsträger*innen zu sein, insbesondere in Reaktion auf Kritik an der zurückhaltenden Vorgehensweise der Polizei gegen Pandemie-Leugner*innen. So sagte Wöller auf der Pressekonferenz zu den Geschehnissen am 07.11.2020: „Die Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, das es zu schützen gilt, unabhängig von der jeweiligen Meinung, die jemand vertritt“[63].

Auch der damalige Leipziger Polizeipräsident Torsten Schultze verwies im Anschluss an den misslungenen Polizeieinsatz am 07.11.2020 auf die polizeiliche Aufgabe „dem Versammlungsrecht zur Geltung zu verhelfen“ und auf „die Frage der Verhältnismäßigkeit der (polizeilichen) Mittel“[64]. Diese Aussagen finden sich nicht nur mit Bezug auf Leipzig vielfach in Äußerungen polizeilicher und politischer Entscheidungsträger*innen wieder.

Angesprochen auf die polizeiliche Duldung von Aufmärschen durch Pandemie-Leugner*innen in Sachsen zu Hochzeiten des Pandemiegeschehens, bezeichnete sich der sächsische Polizeipräsident Horst Kretzschmar als „ein(en) große(n) Schützer der Versammlungsfreiheit“; dieses sei ein „ein hohes Gut unserer Demokratie“[65]. Auch in anderen Bundesländern verwiesen führende Polizeibeamt*innen auf die Abwägung der Verhältnismäßigkeit im Umgang mit Pandemie-Leugner*innen und hoben die zentrale Stellung des Versammlungsrechts hervor.[66]

Grundsätzlich sind Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit absolut richtig und die Versammlungsfreiheit selbstverständlich ein hohes Gut. Wenn diese allerdings als reine Rechtfertigungsnarrative in Bezug auf ein Nichteingreifen der Polizei und einer allgemeinen Verharmlosung gewaltsamer (rechter) Aufzüge dienen, verharmlosen sie Gewalt, Antisemitismus und Rassismus und unterminieren den notwendigen Schutz vor einer Ausbreitung der Corona-Pandemie. Zudem stellen auch der Schutz der Versammlungsfreiheit von Gegenprotestierenden, ebenso wie die Pressefreiheit hohe Verfassungsgüter dar, die bei den besprochenen Versammlungen nicht garantiert und in der behördlichen Kommunikation nicht benannt wurden.

 

5. Fazit und Ausblick

Die beschriebenen Fälle zeigen den selektiven Charakter des polizeilichen Vorgehens gegen politische Proteste in Leipzig. Demnach lässt sich im Umgang mit linkem Protest eine niedrigschwellige und häufig willkürliche polizeiliche Eingriffsweise feststellen. Diese zeichnet sich zum einen durch das standardisierte Kriminalisieren und Blockieren von (linkem) Gegenprotest aus, zum anderen durch ein überzogenes und in Teilen mutmaßlich rechtswidriges Vorgehen im Umgang mit linken Demonstrationen. Als plakatives Beispiel kann hier die oben beschriebene stundenlange Ingewahrsamnahme und Identitätsfeststellung von über 70 Teilnehmer*innen der pro-kurdischen Demonstration am 29.11.2020 auf Basis konstruiert wirkender Corona-Verstöße herangezogen werden.[67]

Auch das Verbot der Demonstrationen unter dem Motto „Alle zusammen – autonom, widerständig, unversöhnlich“, auf Drängen der Polizeidirektion Leipzig zeigt die repressive polizeiliche Haltung im Umgang mit linkem Protest in Leipzig anschaulich. Im Gegensatz dazu will oder schafft es die Leipziger Polizei nicht, konsequent gegen Teilnehmer*innen von Pandemie-Leugner*innen-Protesten vorzugehen selbst nach Angriffen gegen Pressevertreter*innen und Gegenprotestierende oder gar die eigenen Beamt*innen.

Die Polizei verharmlost Angriffe durch bekannte Rechtsextreme, selbst wenn sich diese gegen die Polizei richten, ignoriert Verstöße gegen Demonstrationsauflagen und sieht teilweise bewusst von einer Strafverfolgung ab. Die Bereitschaft, sich an Auflagen wie dem Tragen von Masken und dem Einhalten von Abstand sowie die Zahlen und Arten von Straftaten auf den analysierten Protest- Ereignissen unterscheiden sich stark: Während es auf linken Demonstrationen vergleichsweise selten zu Verstößen gegen Corona-Auflagen kommt, gehört das Missachten dieser auf Demonstrationen und Aufzügen von Corona-Leugner*innen als „Markenzeichen“ zum verbreiteten Standard.

Betrachtet man die hier aufgeführten linken Demonstrationen, wird zudem deutlich, dass wenn von polizeilicher oder politischer Seite das Wort „Gewalt“ verwendet wird, diese primär in Form von Sachbeschädigungen (brennende Barrikaden, Bewurf auf Polizeistation, Beschädigungen von Einsatzfahrzeugen) auftritt. Im Vergleich dazu zeichneten sich die hier analysierten Proteste von Pandemie-Leugner*innen insbesondere durch körperliche Angriffe und das erwähnte konsequente Verstoßen gegen Corona-Auflagen aus. Die Formen körperlicher Gewalt gegen Personen bleiben hingegen regelmäßig unbenannt.

Unabhängig davon kann sich die Leipziger Polizei bei ihrem Vorgehen egal gegen welches Protestlager – das zeigen die zitierten Aussagen deutlich – auf den uneingeschränkten und im medialen Diskurs nicht zu unterschätzenden Rückhalt durch das Sächsische Innenministerium, zuvorderst in Person von Roland Wöller, verlassen.

Der Fokus dieser Analyse auf den zurückhaltenden Umgang der Leipziger Polizei mit den Kundgebungen und Aufzügen von Pandemie-Leugner*innen soll nicht als ein Aufruf zu mehr polizeilicher Kontrolle und härterem Vorgehen verstanden werden, er ist eine reine Analysekategorie. Der Schutz der Versammlungsfreiheit und eine genaue Abwägung der Verhältnismäßigkeit des polizeilichen Umgangs mit politischem Protest durch Verantwortungsträger*innen in Politik und Polizei wäre grundsätzlich zu befürworten, würden sie nicht – wie hier herausgearbeitet – alleinig als Kommunikationsstrategie genutzt.

Spätestens wenn sich Pandemie-Leugner*innen mit gewaltbereiten Neonazis und Hooligans zusammentun, es zu zahlreichen Angriffen auf Journalist*innen und Gegenprotestierende und zu einer Selbstermächtigung der rechten Szene in der Öffentlichkeit kommt, ist ein Eingreifen erforderlich.

Doch, und das zeigen die Ereignisse der letzten Wochen in Leipzig und Sachsen deutlich, kann ein alleiniges Verlassen auf die Polizei im Umgang mit Protestbewegungen wie den Pandemie-Leugner*innen nicht die Lösung sein. Es bräuchte zusätzlich auch eine starke Versammlungsbehörde, und zwar nicht mit dem Ziel, Demonstrationen vermehrt zu verbieten, sondern, um in enger Abstimmung mit der Polizei und Zivilgesellschaft, politischen Protest in der Öffentlichkeit unter Einhaltung von Auflagen und der Sicherheit von Presse und potenziellem Gegenprotest auch in Pandemie-Zeiten möglich zu machen. Schlussendlich sollte zivilgesellschaftlicher Gegenprotest wie von Aktionsbündnissen wie „Leipzig nimmt Platz“ nicht von der Polizei blockiert und kriminalisiert werden.

Denn radikalen Ansichten in Bezug auf die (Un)Gefährlichkeit von Corona, den Glauben an Verschwörungserzählungen oder die Verbreitung von antisemitischen Weltbildern, die innerhalb der Pandemie-Leugner*innen-Szene weit verbreitet sind,[68] muss in einer demokratischen Gesellschaft auch in Pandemiezeiten widersprochen werden können.

Es kann zusammenfassend festgestellt werden, dass der polizeiliche Umgang mit politischem Protest in Leipzig stark unterschiedlich ist. Erweitert man den Blick auf die polizeiliche Handhabung von Protest von Pandemie-Leugner*innen in anderen Städten und Bundesländern, lassen sich ähnliche Trends feststellen.[69] Das wirft die zentrale Frage nach dem „Warum“ auf. Hier gibt es verschiedene Erklärungsansätze.

Der Polizeiforscher Rafael Behr merkte in diesem Zusammenhang an: „Im Gegensatz zu linken Demonstrationen oder Fußballspielen fehlt [der Polizei] die Erfahrung mit diesem Spektrum, das ja tatsächlich sehr breit ist“ [70].

Doch ist das zögerliche Vorgehen gegen Proteste von Pandemie-Leugner*innen selbst nach direkten Angriffen auf die eigenen Beamt*innen wirklich durch die fehlende Erfahrung mit dem Protestklientel zu erklären?

Zwar stimmt es, dass die Pandemie-Leugner*innen-Szene in Leipzig ein breites Spektrum umfasst, doch gehören zu diesem Spektrum sehr wohl altbekannte Akteur*innen. Gerade die deutlichen Parallelen mit den PEGIDA und LEGIDA Protesten von 2014-2016 (Chronik.LE, 2021) lassen Behrs Erklärungsansatz zumindest mit Blick auf Leipzig als unzutreffend erscheinen.

Es müssen daher tragfähigere Thesen für das so unterschiedliche polizeiliche Vorgehen erarbeitet werden. Ausgehend vom polizeilichen Umgang mit Pandemie-Leugner*innen-Protesten in anderen Städten wäre zu untersuchen, ob eine ähnliche polizeiliche Vorgehensweise auch außerhalb Leipzigs zu beobachten war, gerade ein Vergleich würde zu einem überregionalen staatlichen Verständnis zum Umgang mit Corona-Leugnerinnen beitragen. Zu guter Letzt bleibt die Frage, wie es mit der Bewegung der Pandemie-Leugner*innen in Deutschland weitergeht.

In Anbetracht der aktuellen Diskurse innerhalb der verschwörungsideologischen-Szene wird deutlich, dass selbst der russische Angriffskrieg auf die Ukraine als kontrollierte Ablenkung gedeutet wird, um eine geplante „Zwangsimpfung“ zu vertuschen. Die Rechtfertigungen und Positionen des russischen Präsidenten Putin werden dabei größtenteils verteidigt und übernommen.[71]

Die nahtlose Eingliederung des Krieges in die eigene Argumentation und die frühe und deutliche Parteiergreifung für Putins Positionen lässt darauf schließen, dass selbst in Anbetracht eines kompletten Rückbaus aller staatlicher Pandemie-Schutzmaßnahmen der Protestwille der Pandemie-Leugner*innen-Szene nicht einfach verschwinden wird. Es ist demnach nur eine Frage der Zeit welche Umstände und Themen durch die Pandemie-Leugner*innen als Grundlage für eine tiefergehende Radikalisierung und gegebenenfalls auch erneute Mobilisierung herangezogen werden.

Der Text mit Fußnoten befindet sich unten als PDF zum Download.

Aaron Reudenbach hat sich während eines Praktikums in unserer Geschäftsstelle mit der Frage beschäftigt, ob der Neutralitätsgrundsatz hinsichtlich einer allgemeinen Gleichbehandlung von politischem Protest in den Augen der deutschen Polizei praktische Beachtung findet. Der Bericht ist Ergebnis seiner Recherche.

Autor*in: Aaron Reudenbach

Weitere Informationen hier

Analyse inklusive Fußnoten zum Download hier (PDF)

Redaktion TolSax

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