Feindbild Journalist IV: Bedrohung als Normalzustand. Eine 5-Jahres-Bilanz
Autor_innen: European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF)
Eine 5-Jahres-Bilanz
Der erste Monat des Jahres 2020 zeigt, dass Journalistinnen und Journalisten weiterhin mit Gewalt gegen ihren Berufsstand rechnen müssen. In fünf Fällen wurden Medienschaffende allein im Januar angegriffen. Keiner der Angriffe erfolgte auf einer rechten Demonstration. Dort wurde seit Beginn der Erfassung jeweils der Hauptanteil der Angriffe registriert.
Seit 2015 erfasst das ECPMF tätliche Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten systematisch. Nach fünf Jahren zeichnet sich ein deutliches Bild: Angriffe auf die Presse sind inzwischen der Normalzustand.
Die Ergebnisse des Jahres 2019 hingegen bestätigen das Tatbild der Vorjahre – trotz gesunkener Fallzahlen. 14 tätliche Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten hat das ECPMF verzeichnet. Zum Vergleich: Im Vorjahr 2018 wurden 26 gewaltsame Übergriffe bestätigt.
2019 kamen mit Ausnahme von drei Angriffen alle aus dem rechten Lager. Der Befund der zurückliegenden vier Jahre wird damit untermauert: Medienschaffende, Journalistinnen und Reporter waren nach wie vor am stärksten durch Pressegegnerinnen und -gegner aus dem rechten Lager¹ gefährdet. Tätliche Angriffe von links sind dem ECPMF für das Jahr 2019 nicht bekannt.
Attacken aus rechten Zirkeln hat es bisher immer gegeben, hauptsächlich gegen Fachjournalistinnen und Journalisten. Seit 2015 hat sich dies geändert: Sowohl das Feld der Betroffenen als auch die Täterkreise haben sich erweitert. Eine breite, heterogene Masse trägt die Pressefeindlichkeit. Journalismus ist unterschiedslos für alle Medienschaffende – insbesondere, wenn sie von rechten Großdemonstrationen berichten – zum Wagnis geworden.
Bilanz nach 5 Jahren ECPMF-Erfassung:
Sachsen bleibt auch nach fünf Jahren Kernland.
Ein Blick auf die Erhebung der letzten fünf Jahre lässt ein sich wiederkehrendes Schema erkennen. Wollte man nach fünf Jahren ECPMF-Erfassung und einer dreistelligen Zahl an registrierten Tätlichkeiten einen Musterfall zur Veranschaulichung der häufigsten Tatmerkmale entwerfen, wären folgende Elemente enthalten: Ein männlicher Täter greift im Rahmen einer teilnehmerstarken rechten Demonstration in Sachsen einen Journalisten an, der eine Kamera trägt und beschimpft und bedroht ihn dabei. Obwohl es Tatabläufe gibt, die von diesem Muster abweichen, sind jene Merkmale am häufigsten zu beobachten, wie die ECPMF-Auswertung zeigt.
Angriffe: Ein (r)echtes Problem
92 von 119 Angriffen sind dem rechten Spektrum zuzuordnen. In 16 Fällen ist die politische Zuordnung nicht eindeutig und bei elf handelt es sich um linke Angriffe. Von den insgesamt 92 rechten Angriffen fanden 79 auf oder im Umfeld von Demonstrationen statt. Damit sind politische Demonstrationen des rechten Lagers die gefährlichsten Orte für Journalistinnen und Journalisten in Deutschland.
Zielrichtung
Zu beobachten sind jedoch vorrangig zwei Zielrichtungen von Angriffen: gegen die Arbeitsweise und -mittel der Presse, etwa Bildaufnahmen anzufertigen, und gegen die Arbeit an sich, also den verkörperten Berufsstand Journalismus überhaupt.
Drohungen
Pressefeindlichkeit traf Presseleute in den zurückliegenden Jahren nicht nur in Form von direkter, tätlicher Gewalt. In der Medienöffentlichkeit wurde schwerwiegende Bedrohungen als immer heftiger wahrnehmbare Form, journalistische Arbeit zu beeinträchtigen, thematisiert.
¹ Da ein Großteil der Übergriffe politisch motiviert sind, müssen jedoch praxistaugliche und zugleich eindeutige und damit vergleichbare Bezeichnungen gefunden werden. Dafür erscheint aus der gegenwärtigen Perspektive die Differenzierung in „rechts“ und „links“ hilfreich, die aber nicht einer Steigerungslogik unterliegen sollen.
Die entsprechende Kategorisierung richtet sich nach den Angreifenden: Wenn etwa eine rechte Demonstration stattfindet und ein Teilnehmer aus dieser Versammlung heraus einen Journalisten angreift und weitere Hinweise für eine politisch motivierte Tat sprechen, wird jene Tat als “rechts” motiviert verzeichnet. Diese erweiterten Hinweise umfassen bspw. die Bekanntheit einer Person durch Parteizugehörigkeit, Tätowierungen oder szenetypische Symbole auf Kleidung oder Fahnen. Weitere Indikatoren können Verlautbarungen der Täterin oder des Täters oder der Tatablauf sein. Wenn die politische Zuordnung nicht eindeutig möglich ist, jedoch auch nicht ausgeschlossen werden kann, wird der Fall als “unbekannt” oder „andere“ vermerkt.