„Corona-Rebellen“ – Ohne Mundschutz, ohne Abstand, ohne Solidarität

Autor_innen: AKuBiZ e.V. Pirna

Nachdem Jörg Meuthen (AfD) bereits am 20. März einen Shutdown forderte, inszeniert sich seine Partei nun als größte Gegnerin der Anti-Corona-Maßnahmen. Dies ist auch in der Region Pirna der Fall. Der Kreis der Unterstützer*innen ist nicht unbekannt.

„Corona-Rebellen“ – Ohne Mundschutz, ohne Abstand, ohne Solidarität

Aufmerksamkeit zog ein erster „Spaziergang“ am 22. April auf sich, den der Polizist und AfD-Kreisrat Steffen Janich anmeldete. Nach Angaben seiner Kolleg*innen folgten 180 Menschen einem Facebook-Aufruf. Unfreiwillig übernahm der AfD-Mann dann doch die Versammlungsleitung. 1 In erster Reihe auch Tim Lochner, Mitglied der Pirnaer AfD-Fraktion [2]. Er wetterte schon vor Jahren gegen das Hissen der Regenbogen-Fahne [3] oder verbreitete Fake-News über Angriffe von „Ausländern“ gegen Mitglieder des Sportclubs 1. FC Pirna. [4] Zwar kritisiert er die Mundschutzpflicht beim Einkaufen, baut mit seiner Firma allerdings auch Schutzeinrichtungen in Läden ein. „Und nein wir sind ganz sicher kein „Kriegsgewinnler“, ist im Netz von Lochner zu lesen. [5]

Für die zweite große Demonstration in Pirna am 29. April mit über 300 Anwesenden fand sich kein*e Anmelder*in. Neben AfD-Politikern waren diesmal auch Führungspersonen der NPD sowie ehemalige Mitglieder der Skinheads Sächsischen Schweiz (SSS) und deren Sympathisant*innen als Teilnehmende dabei. Es wurden Verschwörungstheorien präsentiert und eingesetzte Polizist*innen bepöbelt und bedroht. Der Fake-News geübte AfD-Stadtrat Tim Lochner behauptete später auf seinem Facebook-Profil, es habe keine Pöbeleien gegeben und das, obwohl sie auf dem AfD-eigenen Video eindeutig zu hören sind.

Es folgten weitere Demonstrationen.

Am Vormittag des 1. Mai zeigte sich die AfD mit großem Plakat vorm Pirnaer Rathaus. Dem Aufruf folgten nur rund 30 Personen, darunter sächsische AfD-„Prominenz“. Am Nachmittag wollten sich weitere „Corona-Leugner“ auf den Elbwiesen treffen, offenbar gab es letztendlich dafür aber kein Interesse.

Am Nachmittag des 2. Mai demonstrierten Eltern für die Grundrechte ihrer Kinder (u.a. für das Recht ihrer Kinder auf die Kita) auf dem Pirnaer Obermarkt. Auf Schildern, die an einem Seil befestigt waren, haben die Eltern ihre Forderung geschrieben, darunter auch den Wunsch „Für die schwedische Lösung“. Gegenüber der Sächsischen Zeitung sagte eine der Organisator*innen: „Die Menschen dürfen sich jetzt nicht zu sehr an die Situation gewöhnen, dass ihre Rechte eingeschränkt sind und sie ständig überwacht werden“ [6]

Am 3. Mai folgte die nächste Demonstration. Dieser „Spaziergang für Grundrechte“ war für den Sonntagnachmittag in Pirna über verschiedene Messenger-Dienste angekündigt. Es beteiligte sich eine Mischung aus „Heidenauer Wellenlänge“, Verschwörungsgläubigen und Pegidas. Da sich niemand fand, die Versammlung anzumelden, forderte die Polizei die Demonstrierenden auf, den Markt zu verlassen. Die Demonstration der mittlerweile 200-300 Teilnehmenden wurde durch die benachbarten Gassen fortgesetzt. Währenddessen kam es zu Pöbeleien und Drohungen gegen Journalist*innen und Widerstandshandlungen gegen eingesetzte Polizeibeamte. Diese wurden dabei mit Hinweis auf ein „Merkelregime“ oder die „frühere DDR“ beleidigt und auch angegriffen. Nach gut einer Stunde war die Demonstration beendet.

Hunderte Menschen nahmen am 4. Mai sachsenweit an so genannten Corona-Spaziergängen teil. [7] Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge stellten Einsatzkräfte der Polizei gegen 19 Uhr etwa 10 Personen in Freital, Heidenau, Pirna, 30 Personen in Wilsdruff sowie 50 Personen jeweils in Sebnitz, in Neustadt und Bad Schandau fest. [8]

Am 6. Mai versammelten sich unter großem Polizei-Einsatz etwa 250 Menschen gegen die Corona-Maßnahmen, unter ihnen der sächsische Generalsekretär der AfD, Jan Zwerg, die AfD-Landtagsabgeordneten André Barth und Ivo Teichmann, AfD-Kreisrat und Polizist Steffen Janich und der Pegida-Anwalt Jens Lorek. Angemeldet wurde die Kundgebung vom Pirnaer AfD-Stadtrat Tim Lochner. Nach 15 Minuten musste die Versammlung aufgrund einer entsprechenden Auflage der Versammlungsbehörde beendet werden. Danach wurden die Teilnehmenden aufgefordert, den Marktplatz zu verlassen. Nicht alle kamen der Aufforderung nach. Eine größere Gruppe offensichtlich rechter Jugendlicher wurde dabei in der Barbiergasse gekesselt. Fast 70 Ordnungswidrigkeitsverfahren wurden im Anschluss eingeleitet. [9]

Am 8. Mai setzten sich dann Pirnas Oberbürgermeister Hanke und Sozialministerin Petra Köpping zum „digitalen Bürgerforum“ zusammen. Übertragen wurde die Sendung live bei youtube und Facebook. Nicht nur, dass mit dem Tag der Befreiung ein schlechter Zeitpunkt gewählt wurde, es gelingt den Initiator*innen wieder einmal nicht, die gesellschaftliche Breite zum Thema „Corona“ abzubilden. Die drei eingeladenen Bürger waren allesamt Männer über 50, die die derzeitigen Maßnahmen als zu hart kritisieren bzw. denen die Lockerungen zu langsam gehen … vor allem, weil sie „den offiziellen Zahlen und Fakten kritisch gegenüber stehen“. Sie bilden in keiner Weise die Diversität der Pirnaer Stadtgesellschaft ab. Denjenigen, die Grundrechtseinschränkungen aus demokratischer Perspektive kritisieren, denjenigen, denen die Lockerungen zu schnell gehen, denjenigen, die derzeit in sozialen Bereichen arbeiten und – wie z. B. pädagogisches Betreuungs- und Pflegepersonal – die mit der Umsetzung der Maßnahmen zu kämpfen haben, wurde im BÜRGERforum keine Stimme verliehen.

Zu den drei Teilnehmenden gehörte der Inhaber des DDR-Museum Conny Kaden. Seine Stammtischparolen klingen wie eine Mischung aus Unwissenheit und Verschwörungstheorien. Sein Fazit: „Wenn niemand was gesagt hätte in China, und das gar nicht rausgekommen wäre, wäre das eine mittelmäßige Grippe gewesen und es wäre wahrscheinlich gegessen gewesen.“ Andreas Thiele, der als Stadtrats-Kandidat für den lokalen Ableger von Frauke Petrys Blauer Wende antrat, verbreitete eine Reihe von Lügengeschichten. So hätte er sich für die Entscheidungen zu den Anti-Corona-Maßnahmen ein „Expertengremium“ gewünscht, an dem „verschiedenste Seiten“ teilnehmen. „Und das hat für meine Begriffe nicht stattgefunden“, sagt Thiele und muss sich dann wie ein Schulkind von Petra Köpping belehren lassen. Er forderte schnelle Lockerungen, da die Krankenhäuser gar nicht wie angekündigt überlastet seien und lässt damit außer Acht, dass dies erst ein Ergebnis der Einschränkungen sein könnte. Diejenigen, die eine tatsächliche Sorge vor einer Ansteckung mit dem SARS-CoV-2-Erreger haben und deshalb die Maßnahmen als richtig bewerten, sei mit der Veröffentlichung ständig steigender Zahlen erst Angst gemacht worden. Nachdem Thiele dann kritiserte, dass er die Zahlen nicht kennen würde („die stehen nämlich nirgendwo“), holte er sich die nächste Lehrstunde von der Staatsministerin ab.
Am Ende lässt sich vermuten, dass solche Runden, insbesondere in dieser Zusammensetzung, keinen Mehrwert bringen. Mindestens Kaden und Thiele zeigten deutlich, dass sie für die Erklärungen und angeprochenen Fakten kaum zugänglich sind. Demonstrationen oder Spaziergänge werden mit so einem „digitalen Bürgerforum“ nicht verhindert. Es wurde den Eingeladenen erneut ein Podium geboten, ihr Unwissen und ihre Verschwörungstheorien zu verbreiten.

Auch in anderen Städten der Region versuchten die Rechten die Einschränkungen durch die Coronakrise thematisch zu besetzen. So demonstrierten diese schon am Abend des 24. April in Neustadt in Sachsen und zwei Tage später in Sebnitz.

Fazit

Die unterschiedlichen Veranstaltungen scheinen unterschiedliche Organisationskreise vorbereitet zu haben. Die vielen Beispiele zeigen aber auch, dass es sich bei der Mehrzahl der Organisator*innen um Personen aus dem rechten Spektrum und beim überwiegenden Teil der Teilnehmenden um deren Sympatisant*innen handelt. Ihre Kritik gilt nicht den Grundrechtseinschränkungen oder der Freiheit aller Menschen, sie ist genährt von Verleugnung („nur eine Grippe“) und kruden Verschwörungstheorien. Dies ist im Einspieler des „digitalen Bürgerforums“ gut zu sehen. Auf die Frage, warum Teilnehmende auf der Versammlung am Markt zusammenkommen, folgen Antworten wie: „alles wird bestimmt“, „ein Zeichen zu setzen (…) gegen die allgemeine Massenverblödung“, „…dass ich nicht mehr meine freie Meinung sagen darf“. [10]

Mit der AfD findet dieses Klientel auch einen parteipolitischen Ausdruck. Die AfD forderte im März erst vehement den Shutdown, nur dass sich im Anschluss deren Mitglieder als große Kritiker eben dieses Shutdowns inszenierten. Vergleichbar hält es die Partei auch bei ihrem Umgang mit den finanziellen Hilfspaketen: Auf der einen Seite spielt sich die AfD als Stimme der Gewerbetreibenden auf, auf der anderen verweigerte sie die Zustimmung zu den getroffenen finanziellen Maßnahmen der Bundesregierung.Das zeigt, dass es dieser Partei nur um rechten Populismus geht und sie nicht wirklich Konzepte für die aktuelle Situation hat.

Mit dem „digitalen Bürgerforum“ werden die Proteste nicht beendet sein. Ein Teil der Teilnehmenden hat gar kein Interesse an den Fakten bzw. möchte gar nicht wissen, welche Gründe zu bestimmten Entscheidungen führten. Pirnas AfD-Stadtrat Lochner kündigte allerdings an, als Anmelder nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Gleiches wird wohl für den Polizisten Steffen Janich gelten, gegen den es polizeiinterne Ermittlungen gibt. [11]

Quellen:

1 https://www.saechsische.de/plus/ermittlung-gegen-coronademo-organisator-pirna-afd-steffen-janich-polizist-polizei-5197304.html
2 https://www.saechsische.de/plus/pirnas-ob-kritisiert-corona-demo-grundrechte-einschraenkung-afd-janich-verschwoerungstheorie-polizei-hanke-5197676.html
3 https://www.saechsische.de/unternehmer-nehmen-anstoss-an-regenbogenfahne-3462786.html
4 https://www.saechsische.de/plus/haben-auslaender-sportler-in-pirna-angegriffen-3646574.html
5 https://www.interiola.com/DE/Pirna/1667982010111790/Tischlerei-Lochner
6 https://www.saechsische.de/plus/wir-wollen-dass-die-kitas-wieder-oeffnen-5200292.html
7 https://www.mdr.de/sachsen/corona-spaziergaenge-grundrechte-sachsen-100.html
8 https://www.dnn.de/Region/Polizeiticker/Coronaproteste-im-Kreis-Dresden
9 https://www.saechsische.de/plus/die-kurze-demo-gegen-corona-pirna-lochner-afd-5201702.html
10 https://www.youtube.com/watch?v=i968wpcYfWE
11 https://www.saechsische.de/plus/ermittlung-gegen-coronademo-organisator-pirna-afd-steffen-janich-polizist-polizei-5197304.html

Alternatives Kultur- und Bildungszentrum Sächsische Schweiz (AKuBiZ)

Wir sind ein antifaschistischer Bildungsverein aus Pirna. Im Mittelpunkt unserer Vereinsarbeit steht die Beschäftigung mit lokaler Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus. Wir setzen uns mit den Themen Rassismus, Antisemitismus und Neonazismus auseinander. Für uns hören diese Themen nicht bei extrem rechten Parteien oder Gruppen auf, sondern wir betrachten diese als in der Mitte der Gesellschaft verankert bzw. aus der Mitte genährt. Zu diesen Themen laden wir für Vorträge, Seminare und Workshops Referent*innen ein oder referieren selbst zu einigen Themen. Weiterhin organisieren wir Wanderungen, Ausstellungen, Buchlesungen oder kleinere Konzerte. Du findest unsere Arbeit wichtig? Unterstütze uns jetzt mit einer Spende!

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