Die neue Qualität neurechter Anfeindung ist besorgniserregend“ – Netzwerk Tolerantes Sachsen verurteilt die verbale Attacke der „Identitären Bewegung“ auf Angela Klier

Erklärung des Netzwerkes Tolerantes Sachsen

Das Netzwerk Tolerantes Sachsen drückt seine tiefe Besorgnis über die neue Qualität neurechter Anfeindung im Erzgebirge aus. Unsere Solidarität gilt der Betroffenen Angela Klier und all den Menschen, die sich in der Region für Menschlichkeit und eine demokratische Kultur engagieren.

Die Koordinatorin verschiedener Demokratieprojekte im Erzgebirge, Angela Klier, wurde vergangene Woche von der „Identitären Bewegung Erzgebirge“ verbal attackiert. Am 21. Oktober 2016 hängten die „Identitären“ ein Banner an das Bürgerhaus in Aue, auf dem Angela Klier persönlich angegriffen und als „Heuchlerin“ verunglimpft wurde.

Als Koordinatorin im dortigen Kompetenzzentrum für Gemeinwesenarbeit im Erzgebirge unterstützt Klier Initiativen, die sich vor Ort aktiv für eine demokratische Kultur und gegen menschenverachtende Ideologien engagieren. Die Störaktion steht in direktem Zusammenhang mit Kliers Engagement für ein Bündnis für ein Demokratisches Miteinander im Erzgebirge.

„Wo sind wir hingekommen, wenn Menschen, die sich für den Erhalt unserer Demokratie einsetzen in den Fokus völkischer und rechtspopulistischer Gruppierungen geraten? Wer gebietet dem endlich Einhalt? Muss die Zivilgesellschaft auch dafür alleine kämpfen? Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist in Sachsen mehr in Gefahr denn je“, so Klier in einem facebook-Post nach der Attacke.

Immer wieder sorgt die „Identitäre Bewegung“ mit öffentlichkeitswirksamen Störaktionen für Aufmerksamkeit. „Aber diese direkte persönliche Diffamierung als konkreter Versuch der Einschüchterung bzw. Bedrohung – das ist eine neue Qualität der Anfeindung“, so Jane Viola Felber, Sprecher_in des Netzwerks Tolerantes Sachsen.

Felber weiter: „Wir fordern Politik und Zivilgesellschaft auf, gemeinsam und entschlossen gegen derlei Bedrohungen und Einschüchterung vorzugehen. Und wir sollten es den Neurechten nicht überlassen, Begriffe wie zum Beispiel „Demokratie“ umzubesetzen.“

Hintergrund: Die Identitäre Bewegung

Was ist die „Identitäre Bewegung“ und wie tritt sie in Erscheinung?

Zu den Hintergründen waren wir im Gespräch mit Jane Viola Felber. Als Mitarbeiterin im Kulturbüro Sachsen e.V., Mobiles Beratungsteam Südwest beobachtet sie seit geraumer Zeit die Aktivitäten der „Identitären“ in dieser Region.


TolSax: Ist die „Identitäre Bewegung“ im Erzgebirge vorher sichtbar aufgetreten?

Felber: „Wir beobachten schon seit Längerem eine Zunahme derer Aktivitäten in Sachsen, darunter auch im Erzgebirge. Seit Ende 2015 ist die Ortsgruppe im Erzgebirge mehrmals in Erscheinung getreten, so zum Beispiel auf dem Weihnachtsmarkt in Aue mit Flugblättern „Stoppt den Asylwahn – stoppt den großen Austausch“, im Kontext von Veranstaltungen wie dem „Asylforum“ in Aue mit dem Banner „Unser Erzgebirge – Unsre Heimat“ oder in Form von „Tierkot-Installationen“ vor dem Rathaus in Bad Schlema. Die jetzige Aktion am Bürgerhaus in Aue erinnert an die jüngste Störung einer Veranstaltung mit Augstein und Käßmann am Maxim Gorki Theater in Berlin, wo Vertreter der Identitären Bewegung einen Schriftzug mit „Heuchler“ emporhielten, oder an die schon etwas zurückliegende Störung der Aufführung des Theaterstücks von Elfriede Jelinek „Die Schutzbefohlenen“ im Audimax der Universität Wien, in denen auch ein großes Banner mit der Aufschrift „Heuchler“ zum Einsatz kam.

TolSax:Wie schätzt du den aktuellen Fall ein, in dem Angela Klier diffamiert wurde?

Felber: Für die „Identitäre Bewegung“ sind Personen wie Angela Klier, die sich seit vielen Jahren gegen Rassismus engagiert, das personifizierte Feindbild des „linksliberalen Establishments“ und der „Multikultis“. Diese würden angeblich den Weg für die „Masseneinwanderung und Islamisierung Europas“ mit dem Ziel eines „Bevölkerungsaustauschs“ ebnen. Das ist absurd. Aber zentriert auf einzelne Personen wird dieses Erklärungsmodell plastisch und übersetzt in den lokalen Kontext. Es bleibt damit immer noch absurd, aber es wird gefährlich. Hängen die Banner „Stoppt den Bevölkerungsaustausch“ einfach an Brücken, dann fehlt der Bezug, die Botschaft lässt sich schwer einordnen. Bei einem Angriff auf eine konkrete Person wird ein vorstellbarer Bezug hergestellt. Das bewirkt dann nicht nur die Diffamierung und Verunsicherung der betroffenen Person. Hier wird ein personifiziertes Feindbild konstruiert – als Zielscheibe für den Hass, den das Erklärungsmodell der „Identitären Bewegung“ mit sich bringt. Und noch ein zweiter Aspekt zeigt sich an der Aktion. Die Gruppe versucht, die Deutungsmacht über den Begriff „Demokratie“ zu erhalten, in dem sie einen Widerspruch zwischen „Demokrat-Sein“ und „die Identitäre Bewegung als ‚rechts‘ bezeichnen“ konstruiert. Was Demokratie für sie bedeutet, erklärt die „Identitäre Bewegung“ auf ihrer Homepage: „Demokratie, da waren sich alle großen Denker einig, erfordert eine gewisse Homogenität in der Bevölkerung, damit sie einen gemeinsamen Willen bilden kann. Indem wir gegen das multikulturelle Projekt und sein Scheitern in Form der Islamisierung kämpfen, kämpfen wir auch für die Bedingung der Möglichkeit einer echten Demokratie (Volksherrschaft).“

TolSax: Wie ist die Identitäre Bewegung in Sachsen aufgestellt?

Felber: Das Zentrum der „Identitären Bewegung“ in Sachsen ist Zwickau. Ortsgruppen gibt es darüber hinaus in Dresden, Bautzen, Leipzig und eben im Erzgebirge. In Zwickau ist Tony Gerber führendes Mitglied. Er betreibt aktiv einen eigenen Youtube-Kanal und gibt Selbstverteidigungskurse für Mitglieder. Er hat enge Kontakte zu Martin Sellner, der die Gruppierung in Österreich leitet. Er ist im Bürgerforum Sachsen aktiv gewesen, welche die asylfeindlichen Sternenmäsche organisierte. Er trat für die „Identitäre Bewegung“ als Redner bei LEGIDA auf. In der Vergangenheit kandidierte er für die NPD, steht hinter der Organisation „Sonnenritter“, die „gegen den Seelenmord am deutschen Volke kämpft“ (neues Format: EQUES SOLIS JOURNAL), und stand u.a. im Kontakt zu Andre Eminger, der als mutmaßlicher Unterstützer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zur Zeit auf der Anklagebank im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München sitzt.

Tolsax: Die Identitäre Bewegung grenzt sich selbst bei ihren Auftritten von Rassismus und Nationalsozialismus ab. Für was steht sie?

Felber: Die Gruppierung grenzt sich von Rassismus ab, ihr Konzept des Ethnopluralismus ist aber in der Konsequenz nicht weniger ausschließend. Mit ihrem schwarzen Lamda-Symbol auf gelben Hintergrund inszeniert sich die Gruppierung als europäische Jugendbewegung und moderne „Reconquista“ gegen den sogenannten „Bevölkerungsaustausch“. Dass die Anzahl von Menschen auf der Flucht so hoch ist wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr, und davon auch ein Teil der Menschen in die Europäische Union kommt, erklärt sie als von „Multikultis“ gesteuerte „Massenzuwanderung und Islamisierung“ Europas. Das erinnert stark an die „Volkstod-Kampagne“ der „Spreelichter“ oder „Unsterblichen“. Die „Identitäre Bewegung“ grenzt sich vom Totalitarismus ab, erzeugt aber durch ihre klare Bestimmung von Freund/Feind und Eigenes/Fremdes eine Stimmung von Hass und Ausgrenzung. Die Inszenierung als hippe Street Art-Gruppe mit professionellen Social Media-Kampagnen folgt einer Mobilisierungslogik. Über enge Vernetzungen zu anderen neurechten Akteuren wie beispielsweise „einprozent“ (mit Götz Kubitschek und Jürgen Elsässer) sowie der AfD erreichen sie eine große Reichweite, und das über die anderen Gruppierungen der „Identitären Bewegung“ europaweit.

TolSax: Ist die Identitäre Bewegung gefährlich?

Felber: Gründungsmitglieder aus dem französischen „Bloc Identitaire“ waren zuvor in der Organisation „Unité radicale“ aktiv, die aufgrund eines Mordversuchs einer ihrer Mitglieder am ehemaligen französischen Staatspräsidenten Jaques Chirac verboten wurde. Anfang Oktober 2012 veröffentlichte der „Bloc Identitaire“ die sogenannte Kriegserklärung der „Génération Identitaire“. Diese Wortwahl spricht Bände. Die Gruppierung „Identitäre Bewegung“ wird daher zu recht in mehreren Bundesländern und auf Bundesebene vom Verfassungsschutz beobachtet, darunter auch in Sachsen. Wichtig ist es auch, die Vernetzungen europaweit im Auge zu haben. Unter der breiten Bevölkerung in Deutschland ist die Gruppierung immer noch recht unbekannt. Es ist daher an der Zeit, mehr Aufklärung über die Hintergründe der Bewegung zu leisten, um vor allem Jugendliche zu sensibilisieren, sich nicht vom hippen Auftreten der Gruppe blenden zu lassen. Auch die Medien sollten schauen, wie sie mit den Aktionen umgehen, um nicht die Öffentlichkeitsarbeit der Gruppierungen indirekt zu unterstützen. Die Betroffenen der Aktionen sollten umfassende Rückenstärkung erhalten, aus Politik, Zivilgesellschaft, Medien, Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft. Den Akteuren sollte es nicht überlassen werden, Begriffe wie zum Beispiel „Demokratie“ umzubesetzen.

Kontakt

Netzwerk Tolerantes Sachsen

Annegret Ode
Koordination | Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Domplatz 5
04808 Wurzen
Tel: 01785445807
koordination@tolerantes-sachsen.de
www.tolerantes-sachsen.de



Kulturbüro Sachsen e.V.

Jane Viola Felber
Mobiles Beratungsteam (MBT) – Regionalbüro Südwest
Henriettenstraße 5
09112 Chemnitz
Tel: 0174/ 9919433
Mail: mbt.suedwest@kulturbuero-sachsen.de
http://www.kulturbuero-sachsen.de/

Redaktion TolSax

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