In Pirna beim AKuBiZ

nichts neues aus sachsnitz“ – Ein Comic veranschaulicht den rassistischen Alltag in der Otto-Normal-Kleinstadt in Sachsen.

Foto: AKuBiZ

Seit 15 Jahren bringt das Alternative Kultur- und Bildungszentrum Sächsische Schweiz (AKuBiZ) die politische wie historische Bildung und die alternative (Jugend)Kultur in Pirna voran, positioniert sich klar zu gesellschaftlichen Entwicklungen und hat mit der K2-Kulturkiste einen Raum für Begegnung und alternative Veranstaltungen in Pirna geschaffen – auch für die neu Angekommenen.

Zweimal in der Woche öffnen sich die Vereinsräume für die „Plauderkiste“ – für Menschen, denen ein respektvolles und diskriminierungsfreies Miteinander wichtig ist. Bei gemeinsamen Strickabenden, Deutschkursen oder Ausflügen kommen Alteingesessene und neue Bürger_innen in Kontakt. Schon seit 2008 setzt sich der AKuBiZ für die Verbesserung der Situation von Asylsuchenden ein. Er ist Mitbegründer der AG Asylsuchende Sächsische Schweiz-Osterzgebirge.

Über die rechte Szene klärt der AKuBiZ mit Vorträgen, Broschüren und Ausstellungen auf. Das Comic „*nichts* neues aus sachsnitz“ veranschaulicht das Problem rechter Gewalt in der Otto-Normal-Kleinstadt in Sachsen.

Mit jährlichen Bildungsfahrten zu Gedenkstätten und Kongressen sowie Zeitzeugengesprächen in ganz Europa regt der AkuBiZ junge Menschen an, sich mit dem Nationalsozialismus bzw. Faschismus auseinanderzusetzen. Auf den jährlichen Wanderung – Rote Bergsteiger begeben sich Jugendlichen aus der ganzen Republik auf den Spuren des antifaschistischen Widerstandes an Orte, die nicht in Vergessenheit geraten sollten. Die vielfältigen Erinnerungsorte in der Region dokumentiert das jüngste Projekt: Gedenkplaetze.info.

Ihr Jubiläum im November 2016 feiern die Engagierten unter anderem mit einem antirassistischen Kickerturnier. Diesmal indoor, führen sie damit ihren alljährlichen Antira-Fussball-Cup fort. Seit zehn Jahrn kicken dort (auch internationale) Teams gegen menschenverachtende Ideologien. Im Vordergrund steht der Spaß am Sport und Fair-Play – es gewinnt, wer das am besten umsetzt.

Getragen wird der Verein durch einen kleinen Kreis Ehrenamtlicher. Durch ihre langjährige Arbeit hat sich das AKuBiZ zu einem festen Bestandteil der sächsischen Zivilgesellschaft entwickelt – und wurde mehrfach für das Engagement ausgezeichnet. Den Sächsischen Demokratiepreis 2010 lehnte das AKuBiZ allerdings ab – aus Protest gegen die Extremismusklausel.

„Wir sind unabhängig. Die Menschen wissen bei uns, wofür wir inhaltlich stehen“, fasst Sven vom AKuBiZ zusammen.

Mit ihm sprachen wir über die rassistische Grundstimmung – und die Erfolgserlebnisse 2016.

Im Gespräch mit …Sven vom AKuBiZ

Die jüngsten Entwicklungen?

Auch in Pirna lässt sich die Polarisierung der Gesellschaft beobachten: Einerseits engagieren sich mehr Menschen für Asylsuchende, z.B. in den vielen Willkommensinitiativen im ländlichen Raum.

Andererseits drückt sich die rassistische Grundstimmung nun öffentlich aus. „Die Hetze ist seit PEGIDA lauter geworden“, so Sven. Heidenau, Freital – rassistische Kundgebungen bestimmten das Jahr 2015. „Man wurde tagtäglich in rassistische Diskussionen über Asylsuchende gezogen – und das zerrte auch an den Nerven.“

Zum Eklat kam es beim Antirassistischen Fussball-Cup 2015 in Hohnstein. „Als wir auf den Platz kamen, hingen da Banner mit rassistischen Sprüchen. Wir hätten die Veranstaltung sofort absagen sollen“, so Sven. Das Team entschied sich dagegen, „aus heutiger Sicht ein Fehler.“

Einzelne Spieler, darunter auch Schwarze, wurden vom Publikum angefeindet wegen des Spruchs ‚Love Sport | Hate Germany‘ auf ihrem Trikot: Wie es sich ‚Geflüchtete‘ erlauben könnten, so undankbar und ‚antinational‘ zu sein. Dieser Tenor wurde zuerst von rechten Medien verbreitet, andere Medien und Politiker_innen zogen nach. Der Hohnsteiner Stadtrat sperrte den AKuBiZ e.V. wegen des Vorfalls drei Jahre für Sportveranstaltungen in städtische Anlagen. (SZ berichtete)

Teilnehmende des Turniers und Vereinsmitglieder erhielten Morddrohungen und Beleidigungen. Auch den Anschlag auf das AkuBiZ-Büro im Juli 2015, bei dem Unbekannte die Fensterscheiben einwarfen, führen die Engagierten auf den Vorfall zurück.

„Viele Veröffentlichungen haben sich den T-Shirts gewidmet, kaum eine den vorgenannten Vorfällen. All dies hat mit einer Stimmung zu tun, die sich in den vergangenen Monaten gegen Geflüchtete und deren Unterstützer*innen entlädt. Dabei wird nicht nur der Ton rauer, sondern es nehmen ganz konkret auch Übergriffe zu“, so der AKuBIZ in einer Stellungnahme nach dem Angriff.

2016 gab es aber Erfolgserlebnisse für den Verein. „Das war schon ein tolles Gefühl, zu den Gewinnern der Google Impact Challenge Deutschland 2016 zu gehören“, so Sven. Ausgezeichnet wurde dort das Projekt Gedenkplätze des Vereins.

In dieser interaktiven Karte können Orte in der Sächsischen Schweiz/Osterzgebirge eingetragen werden, die an die Verbrechen des Nationalsozialismus erinnern. „Viele Gedenkorte verschwinden allmählich – oder werden nicht mehr gepflegt. Es kommen aber auch neue hinzu. Mit diesem digitalen Archiv möchten wir die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wach halten“, fasst Sven die Idee zusammen. Das Projekt möchte auch Menschen in anderen Regionen anregen, selbst über die Verbrechen des Nationalsozialismus zu recherchieren – und die Ergebnisse auf der Karte zu veröffentlichen.

Ein weiteres Highlight 2016 war der Fachkräfteaustausch für Integrationspraktiker*innen mit den USA. Anne vom AKuBiZ / AG Asylsuchende reiste gemeinsam mit Kolleg*innen aus Zivilgesellschaft und Verwaltung in die USA, um sich mit dortigen Fachkräften über Herangehensweisen und best practice für eine gelungene Integration von Neuankommenden auszutauschen. Ihr Fazit:

„Mich hat beeindruckt, dass die Diskussion und Praxis der Integration schon viel weiter als in Deutschland sind. Integration wird als ein Prozess verstanden, der den Ankommenden das Recht gibt, seine kulturelle Identität zu behalten und sich nicht assimilieren zu müssen. Die Menschen werden als selbstständig handelnde Subjekte mit ihren Freiheiten und Rechten anerkannt. Das ist in Deutschland anders. Das in Deutschland häufig genutzte Wort „Toleranz“ ist eben nicht das Ziel, sondern nur ein Zwischenschritt: „Welcoming“ ist der Anspruch!“ (Zum Erfahrungsbericht)

Herausforderungen

Präventive Jugendarbeit

„Ich mache mir Gedanken, wie sich die nächsten Generationen hier in Sachsen entwickeln werden“, so Sven. „Viele Jugendliche hören von ihren Eltern nur das Lamentieren – gegen ‚Migrant_innen‘ oder andere Gruppen“. Das wieder aufzufangen und junge Menschen für humanistische, demokratische Werte und ihre aktive Teilhabe zu gewinnen – dieser Aufgabe müssen sich alle politischen und zivilgesellschaftlichen Akteure in Sachsen stellen – und zwar jetzt.

Fehlender Nachwuchs

„Wir haben irgendwann das Wort ‚JUGEND’aus unserem Vereinsnamen gestrichen, weil unsere Mitglieder alle schon über dreißig sind“, gibt Sven lachend zu, „und aber auch, weil sich das Profil unseres Vereins geändert hat.“ Wie sie junge Menschen in Pirna für die Themen des AKuBiZ begeistern können – darüber machen sie sich im Verein Gedanken. Die Vereinsräume stehen Jugendlichen auf jeden Fall als Treff oder für Veranstaltungen offen.

Wünsche an das Netzwerk Tolerantes Sachsen?

Klare Positionierung zu aktuellen Entwicklungen

„Das Netzwerk sollte nicht Selbstzweck sein“, so Sven. „Ich wünsche mir klare politische Positionierung zu den Zuständen in Sachsen. Wir sollten sichtbarer werden in der Öffentlichkeit, uns an wichtigen Debatten beteiligen.“ Debatten wie der Aberkennung der Gemeinnützigkeit, z.B. bei Attac, oder der Extremismusklausel, die immer noch Teil von Förderbescheiden des Landes Sachsen ist.

TolSax-Förderfond

„Die Beantragung von Fördermitteln ist immer das Aufwändigste an unserer Arbeit“, so Sven. Die Fristen und Anforderungen der offiziellen Förderprogramme empfindet er als zudem als unflexibel. Daher wünscht er sich einen Förderfond des Netzwerks Tolerantes Sachsen, bei dem Mitglieder unbürokratisch und schnell Mikroförderung kleiner Projekte beantragen können.

Themenideen für Regionaltreffen TolSax Konkret

Recherche, Tools und Vernetzung von Projekten der historischen Aufarbeitung

„Unser Projekt heißt zwar ‚Atlas zu Gedenkorten in der Sächsischen Schweiz/Osterzgebirge‚ – aber das digitale Archiv von Dokumenten zur historischen Aufarbeitung könnten wir einfach auf ganz Sachsen erweitern“, so Sven. Er wünscht sich Kontakt zu anderen Projekten im Netzwerk, die sich mit Geschichts- und Bildungsprojekten beschäftigen. Ein Workshop auf einem der Regionaltreffen könnte neue Möglichkeiten vorstellen, wie Zeitzeugen-Dokumente recherchiert, ausgewertet und veröffentlicht werden können.

Kontakt

Alternatives Kultur- und Bildungszentrum e.V. (AKuBiZ)

Ansprechperson: Herr Richter
Kirchgasse 2
01796 Pirna

Tel: +49(0)3501 – 5091303
Mobile: +49(0)15787651920

E-Mail: kontakt@akubiz.de
Web: http://akubiz.de
Twitter http://twitter.com/akubiz

(25.10.2016)


Das Interview wurde im Rahmen unserer TolSaxOnTour (2016 und 2017) geführt. Zur Übersicht der Stationen

Tolerantes Sachsen | Mitglieder und Analyse

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