Dossier zu Strukturen der extremen Rechten in und um Leipzig

Autor_innen: chronik.LE

1. Einleitung

In der Stadt Leipzig und im Umland existiert eine extrem rechte Szene, die organisatorisch und ideologisch verschiedenartig aufgestellt ist. Neben personellen Kontinuitäten zeichnet sie sich dadurch aus, dass sie sich fortlaufend sowohl im öffentlichen Auftreten als auch im Inhalt dem Zeitgeist anpasst. Auch eine gewisse Offenheit gegenüber neuen Verbündeten und strategischen Partnern besteht. 

Eingangs ein knapper Überblick über den Aufbau des Dossiers:

Parteien: 

  • Trotz der Irrelevanz der NPD, des III. Wegs und anderer neonazistischer Parteien in Leipzig – spätestens seit dem verpassten Einzug der NPD in den Sächsischen Landtag 2014 und der darauf folgenden Aufgabe des Parteizentrums in Lindenau – treten die Jungen Nationalisten (JN), der Jugendverband der NPD, in den vergangenen Jahren vor allem unter Tarnlabels auf. Andere Parteien sind außer in Form von Aufklebern kaum noch öffentlich wahrnehmbar, wobei es zuletzt eine Neugründung der Partei Neue Stärke mit einem Ableger in Leipzig gibt.
  • Die AfD konnte seit dem Einzug in den Stadtrat 2014 und durch Mandatsgewinne der Kreisverbände einen Teil der organisatorischen Leerstelle extrem rechter Mobilisierung in Stadt und Land füllen. Ihre Mandatsträger*innen weisen eine Nähe zum formell aufgelösten extrem rechten Flügel um Björn Höcke auf. Im Rahmen der Proteste gegen die Corona-Hygiene-Maßnahmen versuchten Politiker*innen der AfD, davon zu profitieren, und ähnlich wie schon bei der Migration 2015 durch Rassismus und antisemitische Verschwörungstheorien ihre Wähler*innenschaft zu mobilisieren.
  • Eine ähnliche Funktion haben die Wahlvereinigungen, die bei vergangenen Kommunalwahlen Mandate erringen konnten. Diese werden bzw. wurden von Personen angeführt, die z. B. Verbindungen ins neonazistische Hooligan-Milieu haben oder eine einschlägige Vergangenheit in der NPD sowie in Kameradschaften vorweisen können. Ihre Strategie, in unverdächtig wirkenden Wählervereinigungen mit „bürgerlichem“ Anstrich aufzutreten, wird jedoch von ihrer politischen Biographie und ihrer Ideologie konterkariert.

Parteiungebundene extreme Rechte:

  • Eine neonazistische Kleinstgruppe Vereinigte Nationalisten Leipizg versucht in jüngster Zeit über Propaganda sowohl auf Social-Media als auch mit Graffiti und Schmierereien auf sich aufmerksam zu machen. Dabei suchen ihre Mitglieder die Nähe zur etablierten Neonaziszene, zeigen aber auch Präsenz auf den Demonstrationen gegen die Corona-Hygiene-Maßnahmen.
  • Die Identitäre Bewegung tritt seit Kurzem wieder mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Erscheinung. Im Gegensatz zum personalisierten Auftreten der vergangenen Jahre agieren sie nun wieder wie zu Beginn ihrer Aktivität in Leipzig klandestiner.
  • Leipziger Burschenschaften bilden eine Scharnierfunktion zwischen der extremen Rechten, dem Bürgertum und der parlamentarischen Arbeit. Auf der Grundlage ideologischer Kontinuität, z. B. dem Bekenntnis zum Deutschen Kaiserreich und zum „Deutschen“ Volk, gelingt es, durch Seilschaften in die extreme Rechte und durch Nebentätigkeiten die Infrastruktur für rechten Aktivismus zu stellen. Besonders hervor tritt die Burschenschaft Germania.

Subkultur:

  • Für Leipzig und Umgebung ist seit Jahren eine Melange aus Fußball, Gewalt und Männlichkeit prägend, die sich vor allem in der Fanszene von Lok Leipzig abbildet. Das ideologische Dach dieser fatalen Mischung ist der Neonazismus, der sich dort bei Fangruppen beobachten lässt.
  • Rechte und rechtsoffene Kampfsport-Gyms stellen die Infrastruktur für das Training gewaltbereiter Neonazis und verbinden Akteure aus unterschiedlichen rechten politischen Szenen. Zudem werden dort Jugendliche herangeführt.
  • Rechtsrock als subkultureller Ausdruck des Neonazismus hat sich in einer Konzertlocation in Staupitz in der Nähe von Torgau etabliert. Dort finden jährlich bis zu zehn Konzerte mit internationaler Beteiligung statt.
  • Verlage, Versandhandel und andere Unternehmen bieten ein Auskommen für neonazistische Akteure und eine fortwährende Finanzierung der extrem rechten Szene. Dort treten altbekannte Neonazis als Unternehmer auf, aber auch Akteure aus der verschwörungsideologischen Szene haben ihre medialen Plattformen eingerichtet. Zudem ist Leipzig der Sitz von Medienagenturen, die der extremen Rechten zuarbeiten.

Pandemieleugner*innen:

  • Zuletzt widmen wir uns der Bewegung der Pandemieleugner*innen. Zunächst als neues Phänomen ab 2020 aufgrund ihres heterogenen Auftretens schwierig einzuordnen, traten dort nach kurzer Zeit bekannte rechte Akteure auf, die an Verschwörungstheorien anknüpfen und politisch ihren Nutzen daraus ziehen wollen. Bei größeren Demonstrationen kam es zu Ausschreitungen, die vor allem von Neonazis vorangetrieben wurden, abseits davon, aber sich nicht distanzierend, waren Hippies und Alternative zugegen.

Geeint werden die genannten Akteure durch ihre menschenfeindliche Ideologie, die Menschen aufgrund ihrer Erscheinung, ihrer Sexualität oder ihrer Herkunft abwertet oder durch eine Verschwörungsideologie, hinter der ein antisemitisches Weltbild steckt. Neben Strukturen, die explizit neonazistisch sind und sich dazu bekennen, gibt es auch solche, die oben genannte Versatzstücke extrem rechter Ideologie verbreiten und ihr Handeln davon angetrieben ist.

Antifaschistische Gegenwehr und Engagement haben über die Jahre zu einem Zurückdrängen im Raum Leipzig geführt, sei es durch Gegendemonstrationen, Recherche, Aufdeckung und Skandalisierung extrem rechter Verbindungen in Stadt und Land sowie antifaschistischer Selbstorganisation. Dennoch geht von der extremen Rechten auf parlamentarischer Ebene als auch im öffentlichen Raum eine fortwährende Gefahr aus, die sich in unserer Dokumentation abbildet. 

Dieses Dossier ist eine Zusammenfassung und der Versuch, jüngste Entwicklungen darzustellen, wobei kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht. Vielmehr ist es gebündelte Information, die als Ausgangspunkt für weitere Recherchen und für die politische Auseinandersetzung dienen soll. Nicht alle Informationen, die wir hier notieren, stammen aus unserer Dokumentation. Wir greifen auf eine Vielzahl von Informationen zurück, die erst durch Menschen möglich werden, die sich an der extremen Rechten stören und versuchen, aktiv gegen sie vorzugehen.

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