Emanzipatorisch gegen Islamismus und Queerfeindlichkeit

Autor_innen: RAA Sachsen e.V. und Gerede e.V.

Zusammen mit dem Gerede e.V. haben wir am 21.05.2021 die Kundgebung „Emanzipatorisch gegen Islamismus & Queerfeindlichkeit“ anlässlich der Urteilsverkündung gegen den islamistischen Attentäter Abdullah A. mit einem Redebeitrag unterstützt. Für seinen am 04.10.2020 in Dresden begangenen homofeindlich & fundamentalistisch motivierten Messerangriff auf ein schwules Paar, bei dem ein Mensch starb und sein Partner schwer verletzt überlebte, wurde der Täter zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

Gerede e.V.:

„Wir sprechen hier heute als Gerede e.V. – Verein für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Dresden. Wir  verurteilen den menschenfeindlichen, fundamentalistisch motivierten Mord am 4. Oktober 2020.

Wir sind wütend und traurig und voller Sorge und Mitgefühl.

Diskriminierung, Gewalt und Angst um das eigene Leben aufgrund der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität – das ist der Alltag von LSBTI* – und zwar nicht nur in den mehr als 70 Ländern auf der Welt, in denen Homosexualität und/oder Transidentität unter Strafe stehen. Die gesellschaftlichen Einstellungen sind geprägt von Homo-, Trans- und Interfeindlichkeit und Verdrängung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt ins Unsichtbare. Nicht zuletzt werden vielfältige Lebensweisen politisch und religiös instrumentalisiert. Erst kürzlich propagierte beispielsweise der Iranische Präsident, dass Homosexuelle der Grund für die Corona-Pandemie seien. Und auch der Papst erteilt im Jahr 2021 der Segnung homosexueller Paare noch immer eine Absage. Dann doch lieber Autos. 

Ein Blick in unser Nachbarland Polen reicht, um auch unabhängig von Strafparagrafen ein erschreckendes Klima und Rollback-Strukturen zu erkennen, vor denen auch wir hier in Sachsen / in Deutschland nicht gefeit sind. 

Ein Drittel der Sächsischen Bevölkerung findet Homosexualität unnatürlich, zudem gab es in den letzten 5 Jahren mindestens 1000 Übergriffe gegenüber LSBTI* und auch 70% der queeren Geflüchteten erleben hier in Sachsen Gewalt und Diskriminierung, vor der die meisten aus ihren Herkunftsländern geflohen sind. Die Wenigsten bringen Übergriffe zur Anzeige. 

Das wundert uns nicht. 

In Hinblick auf die Aufarbeitung des homofeindlichen Mordes am 4.Oktober 2020, fallen die sächsischen Ermittlungsbehörden wieder einmal mit eklatanter Ignoranz in Bezug auf homo- und transfeindliche Gewalt auf. Die fehlende Sensibilität der Ermittlungsbehörden (und ja, wir sind uns bewusst, dass sich hierfür auch wesentlich drastischere und ebenso passende Zuschreibungen finden lassen würden!) in Hinblick auf menschenfeindliche Tatmotive ist nicht nur ein Armutszeugnis, ignorant und überheblich – sie ist fahrlässig. Sie verhindert eine frühzeitige Intervention. Sie verhindert eine schnelle Aufklärung. Sie verhindert eine mit Zahlen unterfütterte Grundlage für eine so unerlässliche Diskussion zu flächendeckendem und gefährlichem Antifeminismus, Rassismus und Queerfeindlichkeit in diesem Land. 

Alle unsere Strukturen sind durchzogen von entsprechenden -ismen. Wir alle sind nicht frei von ihnen.

Es kann und soll nicht darum gehen, uns dabei selbst aus der Verantwortung zu nehmen. Doch wenn es Menschen, die Gewalt erleben, nicht möglich ist, die Organe anzusprechen, deren Aufgabe Schutz und Ermittlung sind – dann läuft was falsch. Und zwar gewaltig. Gerade mal 13% (!!) der 1600 Befragten LSBTI* brachten eine entsprechende Gewalttat zur Anzeige. Jede fünfte Person gibt dabei an, dass der Grund, auf eine Anzeige zu verzichten, die Sorge homo- / transphober Reaktion der Polizei sei. Seit vielen Jahren gibt es aus den verschiedensten Richtungen immer wieder (auch lautstarke) Bemühungen, zugrunde liegende Motive für Hasskriminalität sorgsamer heraus zu arbeiten; dazu gehören fundamentalistische Ideologien, genau wie politische Einstellung.“ 

Support des RAA Sachsen e.V.:

„Als wir, die Beratungsstelle Support für Betroffene rechter Gewalt, im März diesen Jahres unsere jährliche Statistik zu rechtsmotivierten, rassistischen und antisemitischen Gewalttaten in Sachsen veröffentlichten und dabei den homofeindlichen Mord am 04.10.2020 in Dresden dazuzählten, erhielten wir gezielte Reaktionen aus rechten Kreisen. In den sozialen Medien kritisierten Rechte die Gleichsetzung ihrer Taten mit der Tat eines nicht-deutschen, nicht-weißen, islamistischen Täters. Plötzlich entdeckten rechte Täter*innen die Menschenrechte von LGBTIQ* und hetzten unter dem Deckmantel angeblicher emanzipatorischer Ideale rassistisch gegen geflüchtete Menschen und Muslim*innen. Sie wehrten sich gegen die Nennung ihrer rechten Ideologie und Gewalt in einem Atemzug mit der Nennung des schwulenfeindlichen Mordes durch einen Islamisten. Aber genau hier offenbart sich der gemeinsame Nenner rechter und islamistischer Ideologie in der menschenverachtenden Idee der Ungleichwertigkeit von Menschen. Hier offenbart sich ebenso die Einordnung der Welt und die Einordnung von Menschen in ein einfaches Schema von „Gut“ und „Böse“. Die eigene Gruppe wird als gut, als richtig, als normativ inszeniert und aufgewertet in Abgrenzung zu anderen (konstruierten) Gruppen, die abgewertet werden – bis hin dazu, dass ihnen das Recht auf Leben abgesprochen wird. Dieses System bildet den Kern diskriminierender und menschenverachtender Ideologien. Nach dem Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit werden Ungleichheitsvorstellungen entlang verschiedener gesellschaftlicher Differenzlinien wirksam. Diese Differenzlinien unterscheiden sich zum Teil global. Gleichzeitig werden bestimmte marginalisierte Gruppen, wie Menschen jenseits eines binären, cis-geschlechtlichen und heteronormativen Gesellschaftssystems an sehr vielen Orten dieser Welt ausgegrenzt, abgewertet und verfolgt. Die Perspektive Betroffener von queerfeindlicher Gewalt aber fehlt auf allen Ebenen – seien es in sogenannten Sicherheitsbehörden oder im gesellschaftlichen Diskurs. Diese Leerstelle ist damit Teil ebenjener gesamtgesellschaftlichen Queerfeindlichkeit und Abwertung von Lebensweisen jenseits der Heteronormativität.

Umso wichtiger ist uns eine eindeutige Einordnung des Mordes als menschenverachtende Tat. Dabei sind für uns als Beratungsstelle drei Kriterien ausschlaggebend: 

  1. Die Organisierung von Täter*innen in (rechten) Gruppierungen, Netzwerken oder Ähnlichem;
  2. die Auswahl des Opfers entlang von Differenzlinien der Ideologie der Ungleichwertigkeit;
  3. die Umstände der Tat bzw. der Tathergang.

Im Fall des Mordes, über den wir heute sprechen, gehört der Täter keiner rechten Gruppierung oder Organisation an. Er ist ein Anhänger des Daesh, der dschihadistischen Terrororganisation Islamischer Staat. Gerichtsprotokollen und seinen eigenen Angaben gegenüber eines Gutachters ist zu entnehmen, dass er sich nicht nur ausgiebig mit dem Islamischen Staat und seinen ideologischen Schriften beschäftigte und Kontakt zu anderen Anhängern suchte, sondern sein Leben darauf ausrichtete, im Sinne des Islamischen Staats zu handeln. Dazu gehörte für ihn sogenannte „Ungläubige“  mit dem Tod zu bedrohen und körperlich anzugreifen – seien es Jüd*innen, Êzîd*innen, Alevit*innen, Assyrer*innen, Kurd*innen, queere Menschen, nicht-islamistische Menschen. Am 04.10.2020, vier Tage nach seiner Entlassung aus der Haft, suchte der Täter schließlich gezielt nach Menschen, die in der Ideologie des Islamischen Staates ungläubig sind und seiner Meinung nach, ihr Recht auf Leben verwirkt hatten. Seine Wahl fiel auf zwei schwule Männer. Er plante den Mord, er war sich bewusst was er tat. Er handelte in der Überzeugung, dass Recht zu besitzen, über das Recht anderer Menschen zu leben oder zu sterben, zu urteilen. Für uns ist deshalb klar, dass es sich hier um einen queerfeindlichen, dezidiert homofeindlichen Mord handelt, der aus einer explizit menschenverachtenden Ideologie heraus begangen wurde.

Klar ist für uns auch: Die rechte und rassistische Vereinnahmung des Mordes durch die AfD und andere Rassist*innen zeigt ebenjenes Denkmuster auf, in dem es auf der einen Seite „Gute Menschen“ und auf der anderen Seite „Böse Menschen“ gibt. Wer Opfer und wer Täter*in ist, entscheiden Rechte und Rassist*innen im Einzelfall nach rassistischen und nationalistischen Kategorisierungen. Es geht ihnen um eine ideologische Vereinnahmung – Opfer ist meist, wer weiß, deutsch, hetero und cis-geschlechtlich ist. Außer der Täter kann in ein rassistisches Feindbild eingeordnet werden und stellvertretend für eine ganze Gruppe beschuldigt werden. 

In dieser essentialistischen, deterministischen Denkweise werden Diskriminierungsformen und Betroffene gegeneinander ausgespielt.  Aber gesellschaftliche Machtverhältnisse sind mehrdimensional, Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen oft intersektional: Weltweit fliehen Menschen vor dem Islamischen Staat – um in Dresden statt Sicherheit rassistische und rechtsmotivierte Angriffe zu erleben. LGBTIQ* fliehen weltweit vor der Verfolgung in ihren Herkunftsländern – und laufen dennoch Gefahr, hier in Sachsen, queerfeindlich angegriffen zu werden. Ob aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft heraus oder von rechten oder islamistischen Täter*innen. Kurd*innen, die in Deutschland und weltweit gegen die menschenverachtende Ideologie des IS kämpfen, werden in Deutschland vom Staat als Aktivist*innen politisch verfolgt und von Rassist*innen ermordet.

Gerade weil nicht alle Menschen gleichermaßen Gefahr laufen, rechter wie islamistischer Gewalt zum Opfer zu fallen, stellt diese Gefahr eine Antithese zu demokratischen und freiheitlichen Grundwerten dar: Die Würde und Gleichheit aller Menschen und damit das uneingeschränkte Recht auf Leben aller Menschen.“

Gerede e.V.:

Menschenverachtender Mord bleibt menschenverachtender Mord. Egal von wem verübt. Und wenn politische und oder – so wie zuletzt in Dresden – fundamentalistische Ideologie die Ursache dafür sind, dann sind wir alle gefragt, hinzusehen und laut zu werden.

Dabei geht es nicht nur um homo- und transfeindliche Angriffe, die als solche nicht klar wahrgenommen und bezeichnet werden – und so natürlich auch keinen Eingang in die Statistik finden – wie denn auch?, sondern ebenso um rassistisch, misogyn (also frauenfeindlich), ableistisch (behindertenfeindlich) oder klassistisch motivierte Gewalttaten. Wenn Menschen angegriffen, verfolgt, ermordet werden, auf Grund ihres Äußeren, ihrer Lebens- und Liebensweise, ihres Geschlechts, ihres Glaubens, ihrer Herkunft, ihrer Wohnsituation – dann ist das ein Armutszeugnis für Staat und Gesellschaft. Und somit letztlich für uns alle. 

Das Wissen darüber, was Radikalisierung und Hass befördert, muss genutzt werden.  Wir wissen, dass eigene Diskriminierungserfahrungen und das Gefühl ausgeschlossen zu sein, Entfremdung mit der Umwelt befördert. Wir wissen, dass schulische und berufliche Misserfolge und fehlende Perspektiven Menschen ins Abseits drängen. Wir wissen, dass prekäre soziale Lebensrealitäten und belastende Familienverhältnisse, emotionale Not bedingen. Wir wissen, dass Menschen dann anderweitig nach Orientierung suchen. Dass das Bedürfnis nach Anerkennung und Zugehörigkeit an anderer Stelle befriedigt werden muss. An dieser Stelle müssen wir ansetzen, um dem frühzeitig vorzubeugen und entgegen zu wirken. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und gehört somit staatlich gefördert!

Egal welche noch so progressive Gesetzeslage ein Land prägt – wenn Gesellschaft diese nicht mit trägt, können Menschen schwerlich von ihrem Recht Gebrauch machen. Es ist unser aller Aufgabe, aufeinander Acht zu geben, uns zur Seite zu stehen, uns füreinander und miteinander stark zu machen.“

[www.gerede-dresden.de]

Support für Betroffene rechter Gewalt (RAA Sachsen)

Support - die Beratung für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt des RAA Sachsen e.V. berät und unterstützt sowohl Betroffene als auch Angehörige, Freunde und Freundinnen der Betroffenen und Zeug_innen eines Angriffs. Du findest unsere Arbeit wichtig? Unterstütze uns jetzt mit einer Spende!

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