Stellungnahme des tvBUNT zum Integrationskonzept des Landkreises Bautzen (2025)

Autor_innen: tvBUNT

(inkl. Analyse der Statistik 2024 und der strukturellen Umsetzung des Sächsischen Integrations- und Teilhabegesetzes)

Der tvBUNT begrüßt, dass der Landkreis Bautzen ein Integrationskonzept vorlegt und sich damit grundsätzlich zu seiner Verantwortung bekennt. Doch die vorliegende Fassung bleibt in weiten Teilen unverbindlich, unpräzise und beschreibt überwiegend erwünschte Entwicklungen statt klar definierten, überprüfbaren Maßnahmen. In dieser Form besteht die Gefahr, dass Integration zur verwaltungstechnischen Schreibtischarbeit verkommt – und nicht zu einer Aufgabe, die im Alltag der Menschen wirksam wird.

Nach Auffassung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bedeutet Integration die gleichberechtigte gesellschaftliche, wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politische Teilhabe aller Menschen, die dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland leben. Diese umfassende Definition findet sich im Konzept des Landkreises jedoch nicht wieder. Stattdessen wird Integration an vielen Stellen nahezu ausschließlich mit Arbeitsmarktintegration gleichgesetzt. Menschen, die sich noch in Ausbildung befinden, gesundheitlich eingeschränkt sind, kleine Kinder betreuen oder aus anderen Gründen nicht sofort erwerbstätig sein können, werden damit implizit als „noch nicht integriert“ betrachtet. Dies widerspricht einer menschenrechtsbasierten und teilhabeorientierten Integrationspolitik.

Auch der Beteiligungsprozess ist unzureichend. Die Menschen, für die dieses Konzept geschrieben wird – Migrant*innen, Vereine, Initiativen, Unternehmen und zivilgesellschaftliche Gruppen – wurden nicht systematisch einbezogen. Ein Integrationsbeirat wird lediglich als Option genannt, nicht als verbindliche Struktur. Politische Teilhabe und Mitgestaltung fehlen weitgehend als Themen. So entsteht kein Konzept, das die Lebensrealitäten im Landkreis widerspiegelt, sondern ein Papier, das Betroffene nicht erreicht und nicht stärkt.

Besonders problematisch ist, dass das Integrationskonzept weder die Bestellung einer unabhängigen Integrationsbeauftragten thematisiert, noch die Rolle dieser Stelle im Konzept abbildet – obwohl sie gesetzlich vorgeschrieben ist. Zwar hat der Kreistag inzwischen die Bestellung eines Integrationsbeauftragten ab Dezember 2025 beschlossen, jedoch ausschließlich im Umfang von 0,5 VzÄ und strukturell eingebettet in das Welcome Center. Das widerspricht der gesetzlichen Vorgabe zur Unabhängigkeit nach § 60 Abs. 3 SächsLKrO. Die Beauftragte soll eine politische Stimme im Kreistag sein, kein Anhängsel der Arbeitsmarktkoordination. Mit einer halben Stelle ist der gesetzlich vorgegebene Aufgabenbereich in keiner Weise zu bewältigen.

Noch schwerer wiegt die fachliche Engführung: In der Begründung des Kreistages wird Integration auf Erwerbstätigkeit, Wohnraum, Bildung und Mehrsprachigkeit reduziert. Politische Teilhabe, Schutz vor Diskriminierung, kulturelle Teilhabe, psychosoziale Stabilisierung oder Förderung gesellschaftlicher Begegnung bleiben vollständig unberücksichtigt. Damit reduziert der Landkreis Integration auf die Fähigkeit, sich selbst zu finanzieren und verfehlt damit die BAMF-Definition und alle modernen Standards sozialer Integration.

Die vorgelegte Statistik des Landkreises zeigt zudem ein Bild, das dem Konzept widerspricht. 2024 lebten insgesamt 13.200 nichtdeutsche Personen im Landkreis. Davon benötigen 3.900 keinen Aufenthaltstitel (EU-Freizügigkeit). 6.905 Personen besitzen einen legalen Aufenthaltstitel nach deutschem Recht, darunter 990 unbefristet und 5.915 befristet, wovon 2.315 humanitär geschützt sind und 400 aufgrund familiärer Gründe hier leben. Nur 1.885 Personen befinden sich nicht im regulären Aufenthaltstitelsystem, jedoch mit deutlichen Differenzierungen: 850 mit Aufenthaltsgestattung, 420 mit Duldung und lediglich 615 Personen – also 4,66 % der nichtdeutschen Bevölkerung – ohne Duldung, Gestattung oder Aufenthaltstitel.

Diese Zahlen machen deutlich: 95 % der nichtdeutschen Bevölkerung haben einen Aufenthaltstitel oder Freizügigkeitsrecht. Dennoch erhält die Rückkehrberatung ein eigenes Kapitel und – laut Mittelverteilung – überproportional viele Ressourcen. Die große Mehrheit von über 12.500 Menschen mit Bleibeperspektive hingegen wird im Konzept kaum differenziert behandelt. Es existiert kein eigenes Kapitel für deren Bedarfe, wie psychosoziale Unterstützung, kulturelle Teilhabe, politische Mitgestaltung oder die Stärkung sozialer Netzwerke. Die Schwerpunktsetzung des Konzeptes ist daher fachlich nicht nachvollziehbar und politisch irreführend.

Gleichzeitig zeigen die Maßnahmenpläne, dass keine neuen Ideen entwickelt werden. Die Maßnahmen 2026 sind nahezu identisch mit denen von 2024; Innovationen fehlen. Währenddessen sinkt der Gesamtetat deutlich, Quartiersbüros und Ehrenamt werden gekürzt, und es gibt keinerlei Mechanismen zur Evaluation oder Messbarkeit der Maßnahmen. Ohne Indikatoren und Wirkungsmessung ist Integration nicht steuerbar.

Das Konzept bleibt eine Absichtserklärung – kein Instrument zur echten Verbesserung der Integrationsarbeit.

Besorgniserregend ist auch, dass der Schutz vor Diskriminierung, strukturellem Rassismus oder rechter Gewalt im gesamten Konzept nicht vorkommt – obwohl der Landkreis Bautzen seit Jahren mit entsprechenden Vorfällen konfrontiert ist. Integrationspolitik kann aber nicht funktionieren, wenn die Sicherheit der Betroffenen und der Schutz ihrer Rechte nicht gewährleistet werden.

Für den tvBUNT steht fest: Menschen, die hier leben und bleiben wollen, verdienen echte Perspektiven und volle Teilhabe. Diese können nur entstehen, wenn ein Integrationsbeirat verbindlich eingerichtet wird, eine vollwertige, unabhängige Integrationsbeauftragte im Kreistag verankert ist, klare Ziele und Indikatoren definiert werden, Diskriminierungsschutz selbstverständlich ist und die Mittelverteilung den tatsächlichen Bedarfen folgt – also der Gruppe derjenigen, die bleiben, nicht primär derjenigen, die zurückkehren sollen.

Wir stehen dem Landkreis konstruktiv und kostenfrei zur Verfügung, um diese Integrationsprozesse gemeinsam zu gestalten. Denn Integration entsteht nicht durch Papiere, sondern im echten Zusammenleben. Der Landkreis Bautzen darf diese Zukunftsaufgabe nicht länger halbherzig behandeln. Ohne entschlossene, professionelle Integrationspolitik verliert der Landkreis Menschen, Chancen und Zukunft – mit ihr gewinnt er beides.

Analyse der Statistik 2024 und der strukturellen Umsetzung des Sächsischen Integrations- und Teilhabegesetzes

1. Statistik 2024: Die Realität der Migration steht im Widerspruch zu den Prioritäten des Konzeptes

Im Jahr 2024 lebten im Landkreis Bautzen 13.200 nichtdeutsche Menschen.

Unsere differenzierte Auswertung zeigt:

1.1 Der Großteil hat einen gesicherten Aufenthalt

  • 3.900 EU-Freizügigkeit
  • 6.905 Aufenthaltstitel (davon 2.315 humanitär geschützt, 400 familiär, 25 Ausbildung etc.)

Über 10.800 Menschen haben eine klare Bleibeperspektive.

1.2 Unsichere Aufenthalte (insgesamt 1.885) müssen differenziert betrachtet werden

  • 850 Aufenthaltsgestattung
  • 420 Duldung
  • 615 ohne Duldung/Gestattung (4,66 % aller Nichtdeutschen)

1.3 Problematische Schwerpunktsetzung

Obwohl 95 % der Menschen einen Aufenthaltstitel oder Freizügigkeit besitzen, erhält die Rückkehr ein eigenes Kapitel, während für die über 12.500 Menschen mit Bleiberecht kein eigener Schwerpunkt vorgesehen ist.

Dies ist sowohl fachlich als auch politisch eine klare Fehlgewichtung.

2. Integrationsbeauftragte: Gesetz wird nur formal umgesetzt – nicht inhaltlich

Der Landkreis bestellt nun einen Integrationsbeauftragten ab 15.12.2025. Das ist überfällig. Dennoch sind zentrale Probleme erkennbar:

2.1 Nur 0,5 VzÄ — unzureichend für ein gesetzlich zentrales Amt

Die Aufgabe umfasst u. a.:

  • Beratung,
  • Koordination,
  • Monitoring,
  • Teilhabeberichte,
  • politische Beteiligung,
  • Austausch mit Zivilgesellschaft und Migrant*innen.

Dies ist mit einer halben Stelle nicht machbar.

2.2 Gesetzlicher Anspruch auf Unabhängigkeit wird unterlaufen

§ 60 Abs. 3 SächsLKrO schreibt vor:

„Die Beauftragten sind in der Ausübung ihrer Tätigkeit unabhängig.“

Doch der Landkreis ordnet die Stelle dem Welcome Center zu – einer Einheit mit klarem Fokus auf Arbeitsmarktintegration.

Damit wird die Funktion:

  • abhängig von Verwaltungsstrukturen,
  • thematisch verengt,
  • politisch geschwächt,
  • nicht als unabhängige Schnittstelle zwischen Kreistag, Verwaltung und Bevölkerung wirksam.

2.3 Integrationsverständnis im Beschluss widerspricht BAMF-Definition

Der Landkreis definiert die Schwerpunkte der Beauftragten ausschließlich als:

  • Sicherung des Lebensunterhalts durch Erwerbstätigkeit
  • Zugang zu Wohnen
  • Zugang zu Bildung
  • Förderung von Mehrsprachigkeit

Es fehlen jedoch:

  • politische Teilhabe
  • gesellschaftliches Miteinander
  • Diskriminierungsschutz
  • rassismuskritische Verwaltungskultur
  • psychosoziale Unterstützung

Das BAMF definiert Integration jedoch als vollständige politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Teilhabe.

Der Landkreis verkürzt Integration damit auf Arbeitsmarkt und Selbstversorgung und widerspricht geltenden fachlichen Standards.

3. Mittelverteilung: Massive Schieflage – Rückkehr & Asyl erhalten 52 % aller Mittel

Die Mittel nach KomIntAVO 2025 zeigen:

BereichAnteil
Flüchtlingssozialarbeit & Rückkehrberatung52 %
Integrationsberatung30 %
Integrationsbeauftragte10 %
Integrationsmanagement7 %
Teilhabe- & Integrationsberichte1 %

→ Mehr als die Hälfte der Mittel fließt in einen Bereich, der nur 4,66 % der Zielgruppe betrifft.

Dagegen fehlen Mittel für:

  • Teilhabe,
  • Prävention,
  • Empowerment,
  • Ehrenamt,
  • sozialräumliche Integration,
  • Bildungs- und Gesundheitszugänge,
  • Schutz vor Diskriminierung.

4. Maßnahmenpläne 2024 und 2026: Keine Innovation, aber erhebliche Kürzungen

4.1 Budget sinkt um fast 30 %

  • 2024: 1.005.619 €
  • 2026: 713.350 €
    → –292.269 €

4.2 Quartierbüros und Ehrenamt werden geschwächt

  • Quartierbüros: –220.000 €
  • Ehrenamt: –14.460 €

4.3 Keine neuen Maßnahmen – reine Fortschreibung

Der Maßnahmenplan 2026:

  • enthält keine einzige echte Neuerung,
  • übernimmt nahezu alle Maßnahmen aus 2024 unverändert,
  • ignoriert aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen.

4.4 Fehlende Evaluation

Es gibt:

  • keine Zieldefinition,
  • keine Indikatoren,
  • keine Messbarkeit.

Das Konzept ist damit kein Steuerungsinstrument, sondern eine Absichtserklärung.

Weitere Informationen

trägerverBUNT (tvBUNT)

trägerverBUNT ist ein Netzwerk für Demokratie und Vielfalt im Landkreis Bautzen. Dieses Netzwerk besteht aus Freien Trägern der Jugendhilfe, Jugendclubs, Jugendverbänden etc., die im Landkreis Bautzen aktiv sind.

Mastodon