Unser Redebeitrag: Irregulär sind eure Bomben und eure Ausbeutung in unseren Ländern!

Direkt zum Beitrag beim Sächsischen Flüchtlingsrat

Autor_innen: Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.

Liebe geflüchtete Freund*innen, liebe solidarische Menschen,

wir durchleben schwierige Zeiten, um zu noch schwierigeren Zeiten zu gelangen – so fühlen sich viele Menschen in diesen Tagen. Jeden Tag machen erschreckende Nachrichten die Runde – begleitet von antidemokratischen, rassistischen und faschistischen Heilsversprechen, die immer mehr Zulauf finden.

Unter diesen Umständen sind wir Geflüchtete die leichteste Zielscheibe. Wir sind die einfachste Antwort auf alle Fragen der „Normalos“ – sei es auf der Suche nach Bestätigung und Beruhigung, sei es aus dem Wunsch heraus, sich die notwendigen Fragen zu ersparen und damit zu entlasten, sei es aus dem Bedürfnis heraus, einen Schuldigen außerhalb sich selbst zu finden, auf den man mit dem Finger zeigen und sich der Verantwortung entziehen kann, sei es, um sich „besser“ zu fühlen gegenüber diesen „Ungebildeten“, diesen „Unterentwickelten“, diesen “Verdammten”. Im nächsten Moment finden wir uns in einer räudigen Fabrik oder in einer Dönerbude wieder, eingesperrt für 12 Stunden am Tag, wenn die billige Kraft unserer Hände gebraucht wird – und selbst das nur, wenn wir es geschafft haben, die Mauer Europas zu überwinden, ohne zu sterben oder gefoltert zurückgeworfen zu werden. Deutschland will sich “sauber” halten, indem wir abgeschoben werden – wenn nötig mit “physischer Gewalt”, wie Jens Spahn ankündigt, und “im großen Stil”, wie es sich der Bundeskanzler wünscht.

Dabei sind wir fast stumm. Wir haben kaum eine eigene Stimme, um unsere Geschichten zu erzählen und unsere Forderungen auf den Tisch zu legen. Zum Glück gibt es noch solidarische Menschen und einige (Selbst-)Organisationen, die unsere Situation sichtbarer machen wollen – aber das reicht hinten und vorne nicht!

Wir brauchen eine lautere Stimme. Eine eigene Stimme. Eine politische Stimme. Sie muss so sein wie wir: Grenzüberschreitend. Grenzen, die uns hinter Mauern aussperren und uns unserer Rechte berauben wollen, und Grenzen zwischen uns.

Es wird über uns geredet, diskutiert, gehetzt – ohne uns. Selbst in einigen Räumen, die sich auf eine Art Solidarität reduzieren, wird von uns nur erwartet, dass wir auf die Vorwürfe der “besorgten” Bürger*innen eingehen, indem wir mit möglichst breitem Lächeln unsere erfolgreichen Integrationsgeschichten liefern oder uns hier und da rechtfertigen. Damit uns (Menschen-)Rechte zuerkannt werden, sollen wir unsere Verwertbarkeit auf dem kapitalistischen Markt unter Beweis stellen. Wie das funktioniert, kann man auch in einem knackigen Satz formulieren: Warum sollen wir denn hier bleiben, wenn wir „den Deutschen“ nicht ihre Toiletten putzen wollen?

Jeden verdammten Tag meldet sich ein anderer Politiker zu Wort, der sich für die Bekämpfung der „irregulären“ oder „illegalen“ Migration ausspricht. Mauern werden hochgezogen gegen Menschen, die verarmen, die Kriegen und Katastrophen ausgeliefert sind. Es ist notwendig, klar zu benennen, was ist:

„Irregulär“ ist, Menschen immer schärferer Ausbeutung, Kriegen mit Waffen aus Deutschland, Katastrophen durch wahnsinnige Produktion auszuliefern.

„Illegal“ ist, verzweifelte Menschen auf der Suche nach einem Platz zum Leben in den Tod zu treiben, wie es die europäischen Grenzbehörden und ihre korrupten Verbündeten täglich an den Außengrenzen, im Mittelmeer oder in den Wüsten tun!

Liebe geflüchtete Freund*innen, liebe solidarische Menschen,

im Vorfeld der Kommunalwahlen (9. Juni 2024) und der Landtagswahlen (1. September 2024) in Sachsen ist davon auszugehen, dass das Thema Fluchtmigration durch rechtspopulistische/faschistische Stimmungsmache weiter in den Vordergrund gerückt wird. Dies geht einher mit einer Zunahme rassistischer Einstellungen in der Gesellschaft und der Organisation faschistischer Gruppierungen, die die Vertreibung von Geflüchteten beschwören. Vor drei Wochen gab es einen einzigen Montag, an dem allein in Sachsen 115 faschistische Aufmärsche gegen Geflüchtete stattfanden, an denen Tausende Menschen teilnahmen, darunter auch organisierte Faschisten. Heute in Dresden stehen sie vor unserer Nase, die uns vertreiben und in den Tod treiben wollen – die uns jeden Tag auf der Straße, in der Schule, am Arbeitsplatz anfeinden und uns in Unsicherheit, Wut und Verzweiflung stürzen wollen!

Die Lage ist ernst. Es ist nicht die Zeit, unsere Energie in irgendwelches Geschwätz zu investieren. Wir brauchen Pläne, die dem Ernst der Lage gerecht werden. Jeden Tag treffe ich Menschen, die von tiefer Besorgnis und ja, von Angst sprechen – und das zu Recht. Wir können von diesen Gefühlen ausgehen – aber wir dürfen nicht dabei stehen bleiben. Wenn man meint, das Recht zu haben, uns zum Schweigen zu bringen und zu vertreiben, dann ist es höchste Zeit, dass wir unser Recht auf Widerstand wahrnehmen! Es ist unsere Aufgabe, uns zu schützen und für eine gerechte Welt einzutreten, in der niemand unterdrückt wird!

Xelas! Edi bes e! ¡Basta ya! Artık yeter! Enough! Es reicht!

Liebe geflüchtete Freund*innen,

wir brauchen einen Raum, in dem Geflüchtete mit ihren Geschichten, ihrer Wut und ihren Forderungen zu Wort kommen, ohne einer Hierarchie unterworfen zu sein. Nicht um uns zu rechtfertigen vor verhörenden Augen, die nicht verstehen, was dieses Europa und Deutschland unseren Ländern antut, sondern um uns zu auszusprechen und zu vernetzen. Nicht um die Faschos und die anderen Almans zu beruhigen, sondern um unsere Forderungen sichtbar zu machen.

Hast du Lust, dich an einem solchen Prozess zu beteiligen? Dann melde dich beim Sächsischen Flüchtlingsrat – wir haben einen Plan, den wir gemeinsam mit dir entwickeln wollen.

Du bist nicht allein! Es gibt Menschen, die deine Wut und deine Angst verstehen. Lass uns unsere berechtigten Gefühle und Forderungen gemeinsam politisieren! Lass uns die Angst überwinden und eine gemeinsame Stärke aufbauen, die Hoffnung macht!

Bijî berxwedan! Yaşasın direniş! Yallah yallah Migrantifa!

Mehr Informationen

Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.

Der Sächsische Flüchtlingsrat e. V. engagiert sich seit 1991 für den Schutz geflüchteter Menschen und für menschenwürdige Unterbringungsbedingungen in Sachsen. Er ergreift Partei für die schutzwürdigen Interessen von Geflüchteten und sichert die öffentliche Kontrolle bei der Umsetzung des Asylverfahrens- sowie des Asylbewerberleistungsgesetzes in Sachsen. Weitere Aufgabenbereiche liegen in der Dokumentation und Veröffentlichung von Menschenrechtsverstößen in diesem Bereich. Du findest unsere Arbeit wichtig? Unterstütze uns jetzt mit einer Spende!

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