Bundestagswahl 2021 – Blaues Sachsen und kein Ende?

Autor_innen: LAG Queeres Netzwerk Sachsen auf facebook

Betrachten wir die Landkarte der Bundesrepublik anhand der Wahlergebnisse zum 20. Deutschen Bundestag vom 26. September, dann sehen wir so manche farbliche Veränderungen. Sehr viel Schwarz ist von der Karte verschwunden, so einiges an Rot hinzugekommen. Ein paar grüne Farbtupfer gibt es auch. Und Sachsen ist: blau. Das Ergebnis der Bundestagswahl fällt in Sachsen teils deutlich anders aus als der Bundestrend. Die AfD wird mit 24,6 Prozent der Zweitstimmen stärkste Kraft in Sachsen und holt darüber hinaus mit 10 Direktmandaten die meisten im Freistaat. Zweistärkste Kraft wird die SPD mit 19,3 Prozent. Die Regierungspartei CDU verliert massiv an Stimmen und landet mit 17,2 Prozent nur noch auf dem dritten Platz. Die FDP erreicht 11,0 Prozent, die Linke 9,3 Prozent, Grüne 8,6 Prozent.

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Und jetzt? Während erste Rufe vom „braunen Osten“ (auch in Thüringen ist die AfD stärkste Kraft geworden), ebenso erwartbar jetzt wieder ertönen, so wenig helfen uns solche Reflexe hier im Land weiter.

Das Ergebnis heißt für Sachsen klar und deutlich: Eine antidemokratische, antiparlamentarische, vielfaltsfeindliche, völkisch-nationalistische, rassistische und rechtsextreme Partei hat im Freistaat eine verlässliche Wähler*innenbasis, die sie auch verlässlich mobilisieren kann und damit ein stabiles Viertel der Menschen hier für sich gewinnt. Wir müssen uns in Sachsen endgültig davon verabschieden einfach von Protestwähler*innen zu sprechen. Ein nicht unwesentlicher Teil der Menschen hier wählt eine AfD gerade wegen ihrer Inhalte und wegen ihres Personals. Sie wählen ganz bewusst das Vorurteil, die Wissenschaftsskepsis, das Völkische, das Nationalistische. Und sie erlauben damit dem Hass, der Spaltung und der Gewalt gegen alle, die nicht in dieses cis-hetero-weiß-deutsch-nationale Weltbild passen, weiter in unsere Gesellschaft einzusickern.

Eine mehrheitlich wertkonservative Gesellschaft bietet dafür seit Jahrzehnten die Grundlage in Sachsen. Politische Parteien, die entsprechende Haltungen und Einstellungen in Sachsen ebenso lange ignorierten oder verharmlosten auch. Die Entwicklung, die zu diesem Bundestagswahlergebnis in Sachsen führte, konnten wir hier seit den 2000ern – mit dem einstigen Aufstieg einer NPD, nahtlos fortgesetzt von einer AfD – mitverfolgen.

Für queere Menschen ist nicht erst der Morgen nach der Wahl mit Blick auf ein „blaues Sachsen“ eine Zumutung. Die sächsischen Verhältnisse mit alltäglicher Diskriminierung, Ausgrenzung, verbaler und physischer Gewalt sind es schon seit Jahren.

Was jetzt zu tun ist gründet sich auch darauf, was nicht mit dieser Wahl passierte. Eine AfD verfehlte klar ihr eigenes Ziel. Es gibt keinen Durchmarsch dieser Partei hin zur absoluten Mehrheit in Sachsen. Rechtsextremisten wie Jens Maier fliegen aus dem Bundestag. Mit ihren 24,6 Prozent wird die AfD zwar stärkste Kraft in Sachsen. Aber sie verliert damit 2,4% gegenüber ihrem Bundestagswahlergebnis von 2017. Außer in Thüringen konnte sie in keinem Bundesland dazu gewinnen. Für Sachsen bestätigt sich, dass die Partei seit 2019 weitestgehend ausmobilisiert ist. Die vermeintliche Stärke der AfD ist deshalb bei dieser Wahl vor allem eine Schwäche der CDU (und der LINKEN in Thüringen).

Ein Viertel gefestigte Wähler*innenschaft ist dramatisch genug – keine Frage. Aber es sind immer noch gut Dreiviertel der Menschen in Sachsen, die einer AfD nicht ihre Stimme gegeben haben. Das Wahlergebnis zeigt auch, dass eine ewige CDU eben doch keine mehr sein muss und progressive Kräfte durchaus Chancen haben.

Statt um einen weiteren Aufstieg handelt es sich vielmehr um eine Verstetigung und Stabilisierung gefestigter Wähler*innenmilieus der AfD. An diesem Punkt muss angesetzt werden.

  1. Alle demokratischen Parteien in Sachsen müssen den demokratischen Konsens erneuern. Die Zeiten von Relativierung, Kleinreden oder Ignorieren antidemokratischer Kräfte und Strömungen müssen endgültig vorbei sein.
  2. Sachsen braucht eine Demokratieoffensive. Der flächendeckende Ausbau zivilgesellschaftlicher Angebote für Beratung, Bildung und Begegnung sowie Empowerment muss beschleunigt werden – und finanziell abgesichert werden. Vielfaltsfördernde und Demokratie bildende Strukturen sind oftmals die letzten und die besten Fangnetze und Brandmauern. Sie verlässlich zu fördern und nachhaltig auszubauen muss oberste Pflicht aller demokratischen Parteien und der Staatsregierung sein. Prävention, Bildung und Inklusion in der Fläche, Breite und Tiefe darf den politisch Verantwortlichen in Sachsen nie wieder „zu teuer“ sein. Es braucht zudem ein Demokratiefördergesetz auf Bundesebene.
  3. Der ländliche Raum und die kommunale Ebene müssen viel stärker in den Blick genommen werden als bislang. Weitestgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit wurden in den letzten Jahren in einzelnen Kommunen bereits rechte Mehrheiten geschaffen, die stark genug sind, um bereits jetzt einzelne der so wichtigen Projekte und Fördervorhaben zu verhindern. Der ländliche Raum darf nicht weiter ausbluten und die Dörfer und Gemeinden dürfen nicht kampflos aufgegeben werden, damit die dort in den letzten 30 Jahren entstandenen demokratiefeindlichen Strukturen nicht auch die kommende(n) Generation(en) in Sachsen rekrutieren können.
  4. Schuldenbremsen auf Bundes- und Landesebenen, die solche wichtigen Investitionen auf Dauer verunmöglichen, gehören auf den Prüfstand und sind entsprechend zu modifizieren. Die Stärkung einer demokratischen, vielfältigen und offenen Gesellschaft darf nicht an der „Kassenlage“ scheitern.

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