Sachsen lässt queere Geflüchtete im Stich

Autor_innen: RosaLinde Leipzig e.V., Gerede e.V., Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) Landesverband Sachsen e.V.

Alle spezialisierten Beratungsprojekte für queere Geflüchtete verlieren ab Januar ihre Finanzierung.

Am Dienstag, den 28. Oktober, haben alle Vereine aus dem Projektverbund „Fachberatung für queere Geflüchtete in Sachsen“ für ihre Projektanträge für das Jahr 2026 Ablehnungsbescheide der Sächsischen Aufbaubank (SAB) erhalten. Damit streicht die SAB sämtliche bisher vom Land Sachsen geförderten spezialisierte Beratungsstellen für queere Geflüchtete und zerstört damit eine bundesweit einmalige Unterstützungsstruktur sowie die einzigen professionalisierten Anlaufstellen für queere Geflüchtete.

„Es ist ein Skandal!“
Sachsen galt jahrelang als Best-Practice-Beispiel in Deutschland, wenn es um die Unterstützung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen sowie trans- und intergeschlechtlichen Menschen auf der Flucht ging. Als einziges Flächenland, neben den Stadtstaaten, bot Sachsen seit 2016 eine flächendeckende Beratung für diese mehrfach marginalisierte, besonders vulnerable Gruppe an. Finanziert wurden die Projekte über die Richtlinie Integrative Maßnahmen des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales, Gesundheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt (SMS).

„Politiker*innen loben regelmäßig unsere Arbeit und unsere Expertise, doch was nützt Anerkennung, wenn im nächsten Schritt genau die Strukturen zerstört werden, die seit zehn Jahren erfolgreich arbeiten und seit fünf Jahren gemeinsam als Projektverbund queere Geflüchtete in ganz Sachsen unterstützen?“, sagt Maria Banti, psychosoziale Berater*in im Queer Refugees Network des RosaLinde Leipzig e.V.

Die betroffenen Projekte beraten Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und/oder Geschlechtsidentität verfolgt werden und nach Deutschland fliehen mussten. Sie begleiten queere Geflüchtete u.a. im Asylverfahren, leisten psychosoziale und psychologische Unterstützung, setzen sich für sichere Unterbringung ein, unterstützen queere Geflüchtete darin Communityzugänge zu erlangen, beraten zu medizinischen Anliegen und bilden einen wichtigen Faktor in der Interessensvertretung nach Außen sowie in der Sensibilisierungsarbeit mit Behörden und Multiplikator*innen der Geflüchtetenarbeit.

Um die Dimension deutlich zu machen: Schätzungen zufolge sind weltweit rund 11% der Bevölkerung queer – das ist die niedrigste Annahme, von der Beratungsstellen ausgehen, wenn sie den Anteil queerer Geflüchteter einschätzen. Dabei sollte die weltweite politische Lage im Blick behalten werden: In über 60 Ländern werden LSBTINAQ*-Personen kriminalisiert, in vielen weiteren gesellschaftlich verfolgt oder von Gewalt und Tod bedroht.

Eine aktuelle Studie der Universität Cambridge und RosaLinde Leipzig e.V. zeigt ein erschütterndes Bild: 74% der queeren Geflüchteten in Sachsen haben Symptome mindestens einer psychischen Erkrankung, fast 70% haben sexualisierte Gewalt erlebt – doppelt so viele wie in der allgemeinen geflüchteten Bevölkerung.1

Es gibt also weltweit zahllose Gründe, warum queere Menschen gezwungen sind, ihr Land zu verlassen und Schutz zu suchen. Doch die entscheidende Frage bleibt: Ist Deutschland für sie wirklich ein sicherer Ort, wenn selbst hier die notwendige Unterstützung wegbricht?

„Es ist unerhört, dass gerade bei der Unterstützung dieser besonders vulnerablen Gruppe gespart wird – und das in einem Jahr, in dem es so viele rechtsextreme Angriffe auf CSD-Veranstaltungen gab. Auch außerhalb von Pride-Events berichten unsere Klient*innen zunehmend von rassistischer und queerfeindlicher Gewalt“, sagt Keno Winkelmann vom Gerede e.V., Projekt borderless diversity.

Bereits im Frühjahr 2025 stand die Richtlinie Integrative Maßnahmen im Zentrum eines Skandals: Die sächsische Regierung plante, die Mittel um 80% zu kürzen — ein Schritt, der die gesamte Integrationslandschaft im Freistaat zerstört hätte. Nur durch massiven zivilgesellschaftlichen und politischen Druck konnte dieser Kahlschlag damals verhindert werden.2 Nun steht fest: In der Fördersäule B der Richtlinie wurden nur 21 von eingereichten 91 Förderanträgen bewilligt – das sind ganze 70 Absagen an Träger. Dies stellt eine, anders als erwartet und anders als im Vorhinein vielen Trägern kommunizierte, enorme faktische Kürzung der Mittel für die Fördersäule B und somit für die gesamte sächsiche Trägerlandschaft der Integrativen Maßnahmen dar.

„Es kann nicht sein, dass nach diesem rassistischen Versuch, Integration in Sachsen abzuwickeln, nun ein queerfeindlicher Schritt folgt. Im Projektverbund „Fachberatung für queere Geflüchtete in Sachsen“ haben wir insgesamt 6 Anträge gestellt – alle wurden abgelehnt. Und das, obwohl der SAB und dem Ministerium klar ist, was das für unsere Klient*innen bedeutet“,sagt Tatiana Kulbakina, psychosoziale Berater*in im Queer Refugees Network des RosaLinde Leipzig e.V.

Auch für die Vereine des Projektverbunds „Fachberatung für queere Geflüchtete in Sachsen“ ist der Wegfall dieser Förderung existenzbedrohend – rund 30% der Mitarbeiter*innen beim RosaLinde Leipzig e.V. und rund 25% der Mitarbeiter*innen des Gerede e.V. müssen um ihre Stellen fürchten, die Miete für unsere Räumlichkeiten kann ohne diese Finanzierung nicht bezahlt werden, und kostenlose Angebote fallen ersatzlos weg.

Wir fordern die Sächsische Staatsregierung auf, unverzüglich eine Lösung zu finden, um die Beratungsstrukturen für queere Geflüchtete in Sachen zu erhalten. Ein Abbau dieser Angebote wäre nicht nur ein politisches Armutszeugnis, sondern ein direkter Angriff auf Menschenrechte und gelebte Solidarität.

Kontakte für Rückfragen:
kontakt@gerede-dresden.de
presse@rosalinde-leipzig.de
presse.sachsen@lsvd.de

  1. Pressemitteilung – Cambridge University Press veröffentlicht deutschlandweit erste Studienergebnisse ↩︎
  2. https://www.saechsischer-fluechtlingsrat.de/2025/04/29/kann-sich-sachsen-integration-sparen/ ↩︎

Download der Pressemitteilung (PDF)

Weitere Informationen

RosaLinde Leipzig e.V.

Der RosaLinde e.V. aus Leipzig setzt sich gegen Diskriminierungen rund um Geschlechtlichkeiten und sexuelle Orientierungen, wie Homo-, Inter*, Bi- und Trans*feindlichkeit ein. In unserer Arbeit thematisieren wir die Probleme u.a. von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*, Inter*, Asexuellen/ Aromantischen und queeren Personen (LSBTIQA*), kämpfen für ihre Rechte und bauen damit Vorurteile ab. Du findest unsere Arbeit wichtig? Unterstütze uns jetzt mit einer Spende!

Mastodon