Sachsens Initiativen in Gefahr: Die Anfeindungen rechtsradikaler Parteien auf demokratische Organisationen

Autor_innen: Anna Schulze für belltower.news

Besonders in Sachsen greifen die AfD und andere rechtsradikale Akteure pluralistische Initiativen an. Wir haben mit Betroffenen aus Wurzen und Chemnitz darüber gesprochen, welche Auswirkungen antidemokratische Maßnahmen auf soziokulturelle Projekte haben wird.

Über Sachsen liegt ein brauner Schleier. Berichte über Neonazi-Netzwerke, AfD-Hochburgen und rassistische Ausschreitungen bestimmen den öffentlichen Diskurs. Bunter wird das Bild dank demokratischer Initiativen. Spätestens seit dem „Wir sind mehr“-Konzert 2018 in Chemnitz und der Dresdener Unteilbar-Demo diesen August, bei denen Zehntausende zusammenkamen, ist klar: Sachsen hat auch eine starke Zivilgesellschaft. Es sind die lauten Großveranstaltungen, die den Schleier lüften können – Aber es sind die demokratischen Initiativen, die jeden Tag Ausgrenzung und Rassismus etwas entgegensetzen. Die Einrichtungen tragen einen wichtigen Teil zur demokratischen Gesellschaft bei. Vielfältige Projekte, Beratungsstellen und Bildungsangebote ermutigen zur politischen Mitgestaltung und schaffen geschützte Freiräume.

Eine fatale Begleiterscheinung von Antirassismusarbeit sind wiederkehrende, rechtsradikale Angriffe – tätliche Übergriffe, auch auf die Räume der Initiativen, Mord- und Bombendrohungen, Hassmails und andere Einschüchterungsversuche. Angriffe äußern sich aber auch auf politischer Ebene. Die selbsternannte Alternative für Deutschland sitzt seit 2014 im sächsischen Landtag. Aus den neun AfD-Abgeordnet*innen, wurden im Zuge der jüngsten Landtagswahl 38. Das Erstarken der rechtsradikalen Partei kann folgenschwer für soziokulturelle Initiativen und Kulturzentren sein. Denn schon in der vergangenen Legislaturperiode versuchten sich antidemokratische Parteien, darunter die AfD, in Sachsen und anderen Bundesländern in einem Kampf gegen demokratische und tolerante Organisationen. Es geht um kleine Anfragen, Fördermittel und Übergriffe.

Das juristische Kalkül der AfD

„Aus sächsischer Perspektive merkte man schon bei schwacher Aufstellung der AfD Auswirkungen“, so Grit Hanneforth, Geschäftsführerin des Kulturbüro Sachsen e.V. „Auf parlamentarischer Ebene gab es mehrfach Anfragen zu demokratischen Projekten.“ Das Erstarken der selbsternannten Alternative für Deutschland kann darum fatal sein. „Mit der Verfünffachung der AfD ist zu erwarten, dass wesentlich mehr Manpower dahinterstecken wird.“ Hanneforth problematisiert ebenfalls das Anstreben juristischer Verfahren der AfD. Etliche Klageandrohungen gegen unter anderem Publikationen, Verfahren sowie kleine und große Anfragen gehören zur Taktik der AfD. „Das beschäftigt und kostet Geld.“ Die Angriffe der rechtsradikalen Partei gehen aber über die politische Ebene hinaus und äußern sich unter anderem „in der Diffamierung der Kolleg*innen.“ „Es gibt aber auch eine Positiv-Seite“, berichtet Hanneforth. „Schon vor den Kommunal- und auch Landtagswahlen hat sich eine starke Solidarität, ein starkes Miteinander der Initiativen abgezeichnet.“

Die Herausforderungen in Wurzen

„Die kleinen Anfragen kennen wir schon von der NPD“, sagt Melanie Haller, Kultur- und Vereinsmanagerin vom Netzwerk für Demokratische Kultur e.V. (NDK) in Wurzen. Der Verein wurde 1999 gegründet, um mit demokratischen Ideen auf die gefestigten Neonazi-Strukturen in der Kleinstadt Wurzen zu reagieren.

Kleine Anfragen bezeichnet die kurze Frage eines Parlamentariers an die Exekutive – wie André Barth, AfD-Abgeordneter des sächsischen Landtags, der für eine Vielzahl soziokultureller Initiativen Höhe und Verwendung von Fördermitteln bei der Staatsregierung erfragte. Im Fall NDK richtete sich die jüngste Anfrage auf ein Projekt, das einen Raum für niedrigschwellige interkulturelle Begegnung ermöglichen soll. Damit nutzt die rechtsradikale Partei eine Form der parlamentarischen Kontrolle, in der sich ihre antidemokratische und rechtsradikale Ausrichtung erkennen lässt. Projekte und Initiativen, die nach einer toleranten und offenen Gesellschaft streben, werden von der AfD abgelehnt. Mit dem wiederkehrenden Hinterfragen versucht sie Antirassismusarbeit zu stören und zu delegitimieren. Sie spricht sich gegen die Förderung mit staatlichen Geldern aus.

Das NDK ist wie andere Initiativen auch, auf öffentliche Mittel angewiesen. „Vor vielen Jahren hatten wir den Fall, dass dank CDU und NPD eine Förderung von 500 Euro auf null Euro gesetzt werden sollte“, so Haller. Welche Auswirkungen die AfD künftig auf Förderprogramme haben werde, müsse sich erst zeigen und hänge vom Koalitionsverhalten ab. „Mittlerweile geht es aber um 14.000 Euro, mittlerweile ist es existenziell.“

„Bei uns ist bislang weniger die AfD das Problem, als das Neue Forum für Wurzen (NFW)“, so Haller. In der Kleinstadt im Nordosten Leipzigs sitzen seit den diesjährigen Kommunalwahlen erstmals zwei Rechtsaußen-Parteien im Stadtrat: AfD und NFW. „Der NFW-Chef hetzt auf Facebook massiv gegen das NDK“, berichtet Haller. „Auch deren Wahlprogramm zielt auf uns ab.“ Die Polemik der Nachrede hat sich auch bereits in physischen Angriffen und Bedrohungen geäußert – gegenüber Geflüchteten, politisch Andersdenkenden und dem NDK. „Die Übergriffe auf unser Haus haben sich in der letzten Zeit gehäuft.“ Eingeschmissene Scheiben, zerstörte und gestohlene Überwachungskameras und andere Formen der Sachbeschädigung. Die rechtsextremen Strukturen in Wurzen sind gefestigt, das Feindbild scheint klar zu sein: „Nicht alle würden einen Angriff ausüben, aber bei so wenig Gegenwind sinkt natürlich die Hemmschwelle, so etwas zu tun.“

Jugendhilfsausschuss ohne Pluralität

Auch der AJZ e.V. in Chemnitz ist regelmäßig mit Anfeindungen konfrontiert. Das alternative Jugendzentrum ist einer der größten Jugendarbeitsträger in Chemnitz und setzt sich für Antirassismus und tolerante Freiräume ein. Dazu zählen auch soziokulturell orientierte Kulturveranstaltungen. Die Angriffe betreffen einerseits den Kulturbetrieb des Jugendzentrums, sagt Anja Bartl-Lassati, Sozialpädagogin im AJZ. Neben diversen institutionellen Angriffen gegen den Konzertbetrieb, gab es auch Ende letzten Jahres eine Bombendrohung, als ein Konzert der antifaschistischen Band Feine Sahne Fischfilet stattfinden sollte.

Andererseits zeigen sich Anfeindungen seit Jahren auch auf kommunalpolitischer Ebene.  Dabei geht es wieder um kleine Anfragen, ausgehend von konservativen und nationalistischen Stadtratsfraktionen und angedrohten Kürzungen von Fördermitteln für sozialpädagogische Projekte. Hinzu kommt nunmehr eine Mehrheitenverschiebung im kommunalen Jugendhilfeausschuss, der Ende August gewählt wurde. Der Ausschuss entscheidet unter anderem über die inhaltliche Ausrichtung der Jugendhilfe, wie auch die Vergabe von Fördermitteln. Bei der Wahl des Gremiums kam es zum Ausschluss der vorgeschlagenen Vertreter des Netzwerks für Kultur- und Jugendarbeit, mit seinen 66 Mitgliedern immerhin der Dachverband der freien Träger von Kultur- und Jugendarbeit in der Stadt. Grund dafür ist das gemeinsame Abstimmungsverhaltens der Fraktionen um AfD, CDU, FDP und Pro Chemnitz im neu konstituierten Chemnitzer Stadtrat. Ein Abbild der Chemnitzer Jugendhilfe-Landschaft ist somit nicht mehr gegeben.

„Von einer Pluralität des Ausschusses kann keine Rede mehr sein. Die Besetzung erfolgt in erster Linie durch konservative und kirchliche Träger. Alle durch das Netzwerk vorgeschlagenen Kandidat*innen alternativer, antirassistischer und progressiv-demokratischer Jugendhilfeprojekte wurden systematisch ausgeschlossen“, so die Sozialpädagogin. „Dadurch sehen wir nicht nur die Arbeit des AJZ e.V., sondern auch eine Vielzahl anderer freier Träger extrem bedroht.“ Der Kampf um Fördermittel scheint in Chemnitz weit vorangeschritten zu sein, die Vielfalt und das Bestehen demokratischer Initiativen ist in Gefahr. „Diese Entwicklung betrifft aber nicht nur Chemnitz und auch nicht nur Sachsen. Wichtig ist jetzt eine solidarische Vernetzung bundesweit“, betont Bartl-Lassati.

Im Laufe der noch jungen Legislaturperiode des sächsischen Landesparlaments, wird sich auch auf überregionaler Ebene zeigen, welche weiteren Auswirkungen antidemokratische Maßnahmen auf soziokulturelle Initiativen haben wird. Die Verknüpfung von bürokratischen und physischen Angriffen, die sich in Chemnitz und Wurzen widerspiegeln, zeigt aber die weitreichenden Folgen rechtsradikaler Einstellungen.

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