TolSax vor Ort | Zu Gast beim colorido e.V. in Plauen

„Man muss auch mal den Finger in die Wunde legen und auf Probleme aufmerksam machen, aus der Deckung kommen und Gesicht zeigen.“

Doritta Korte vom colorido e.V.

Mitte März war die Welt noch eine andere. An einem Freitagabend sitzen etwa 30 Personen im gerade erst eröffneten coloridoTREFF des colorido e.V. am Dittrichplatz in Plauen. Sie hören einen Vortrag zur im Vogtland stark verankerten Neonazi-Partei „Der Dritte Weg“, die am nächsten Tag im Stadtteil Haselbrunn eine Kundgebung abhält. Die Veranstaltung sollte eigentlich nur der Beginn einer umfangreichen Reihe im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus sein. Aufgrund der Corona-Pandemie müssen die folgenden Vorträge, Diskussionen, Workshops, Theaterstücke und vieles mehr jedoch kurzfristig abgesagt werden. Ein schwerer Schlag für den jungen Verein.

Doch die Engagierten im Vogtland sind Herausforderungen gewöhnt und lassen sich davon nicht so leicht unterkriegen. Im Vor-Ort-Gespräch mit dem TolSax berichtet die Vereinsvorsitzende Doritta Korte zusammen mit zwei weiteren Mitgliedern von Entwicklung und Zielen des colorido e.V.

Vom Aktionsbündnis zum Verein

Der Verein hat sich 2017 im Theatercafé in Plauen gegründet. „Das war eine Sieben-Personen-Spontanentscheidung“, sagt Doritta, die als Lehrerin arbeitet. Einige der Mitglieder waren zuvor schon viele Jahre im „Aktionsbündnis Vogtland gegen Rechts“ aktiv. „Das ist aber eher ein loses Bündnis ohne eine eigene Rechtsform, wie sie etwa zur Beantragung von Fördergeldern nötig ist. Wir haben uns gesagt: Wir machen sowie schon so viel, das stellen wir jetzt auf feste Füße und machen das gemeinsam als Verein.“

Ein neuer Verein braucht einen neuen Namen. Im Raum standen dafür Ideen wie: Bunt statt Braun oder Buntes Bündnis – das hat den Initiator_innen aber alles nicht so gefallen. Schließlich sind sie auf das spanische Wort für „bunt“, also „colorido“, gekommen. Das bunte Logo mit dem Untertitel „DEMOKRATIE.LEBENDIG.GESTALTEN.“ hat dann einer der Söhne von Doritta entworfen.

Aufklären und Beraten

Der Leitgedanke von colorido lautet „All different – all equal. Alle anders – alle gleich“ (angelehnt an den früheren südafrikanischen Präsidenten Frederik Willem de Klerk). Der Verein setzt sich für Toleranz und Demokratie ein und gegen Rassismus: „Wir wollen aufklären, informieren, zusammenhalten und zusammenführen, Vielfalt anbieten und keinen ausgrenzen.“

Dazu werden im neu eröffneten coloridoTREFF und an anderen Orten in Plauen Veranstaltungen organisiert. Der Laden soll sich zu einer Art Stadtteiltreff entwickeln. Auch als Gegengewicht zu den Angeboten der Neonazis vom „Dritten Weg“, die im Stadtteil Haselbrunn ein „Partei- und Bürgerbüro“ betreiben (siehe dazu die Informationsbroschüre „Der III. Weg in Sachsen“ des Kulturbüro Sachsen e.V.) .

Die colorido-Räumlichkeiten sollen zukünftig auch anderen, kleineren Vereinen zur Verfügung gestellt werden. Mit dabei ist bereits die Kulturinitiative Kanapee. Die jungen Leuten haben bis Ende 2019 über ein Jahr einen eigenen Kulturraum in der Stadt betrieben und setzen ihr Engagement jetzt in Kooperation mit colorido fort. Angedacht sind auch Beratungsangebote. Davon gibt es in Plauen und im Vogtland nach Einschätzung von colorido noch zu wenige.

Kooperation und Vernetzung

Auf die Vernetzung und die Zusammenarbeit mit anderen Initiativen legen die Aktiven von colorido generell großen Wert: „Nachdem wir über zwei Jahre eine Unmenge an Veranstaltungen auf die Beine gestellt haben, haben wir uns irgendwann gesagt: Wir müssen raus, wir müssen sehen, dass wir uns vernetzt kriegen und mit anderen in Kontakt kommen.“ So war der Verein im vergangenen Jahr lokaler Kooperationspartner der Konzert- und Marktplatztour #WannWennNichtJetzt im Vorfeld der Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Gute Kontakte gibt es inzwischen nach Leipzig und Zwickau. Eine wichtige Rolle spielt auch die so genannte Weimar-Runde, zu der der Regisseur Peter Ohlendorf (u.a. „Blut muss fließen – Undercover unter Nazis“) regelmäßig Initiativen aus dem ganzen Bundesgebiet für ein langes Wochenende in die Gedenkstätte Buchenwald einlädt. Dort haben die Engagierten von colorido u.a. die Organisator_innen des Ostritzer Friedensfest und den Verein „Solidarische Alternativen für Taucha“ (SAfT) kennengelernt.

Colorido ist auch Mitglied im Netzwerk Tolerantes Sachsen. Seit diesem Jahr engagiert sich Doritta Korte zusammen mit Steffen Unglaub als ihrem Vertreter im Sprecher_innenrat des Netzwerks und bringt dort vor allem die Perspektive der kleineren, ehrenamtlichen Vereine ein. Die gegenseitige Unterstützung im Netzwerk empfindet sie als sehr hilfreich: „Wir profitieren sehr von diesem Austausch. Man bekommt Einblick in Dinge, die man sonst übersehen würde. Und man kann auf viele Kompetenzen zurückgreifen. Das ist für uns auch wichtig, um Öffentlichkeit für die Situation im Vogtland herzustellen.“

Auf lokaler Ebene läuft es mit der Vernetzung nicht immer so gut. Vom Runden Tisch für Demokratie, Toleranz und Zivilcourage im Vogtlandkreis, an dem neben zivilgesellschaftlichen Initiativen und Vertreter_innen verschiedener Parteien auch die Verwaltung beteiligt ist, hat sich colorido im vergangenen Jahr zurückgezogen. „Der Runde Tisch ist im Moment eher eckig“, sagt Doritta dazu. Sie stört sich u.a. daran, dass diese Runde zu sehr darauf bedacht sei, möglichst niemandem weh zu tun: „Damit kann man keine zivilgesellschaftliche Arbeit machen. Da muss man auch mal den Finger in die Wunde legen und auf Probleme aufmerksam machen, aus der Deckung kommen und Gesicht zeigen.“

Auch am verhaltenen Auftreten der demokratischen Parteien, etwa gegenüber dem Vertreter des „Dritten Weges“ im Stadtrat, hat sie einiges auszusetzen. Gleichzeitig betont sie, wie wichtig es eigentlich wäre, wieder stärker zusammen zu rücken. „Da muss man auch die ein oder andere Meinung ertragen, die vielleicht ein bisschen konträr zu eigenen ist. Das fehlt mir bisher komplett. Wenn alle zusammenarbeiten, die das wollen, dann wäre das auch eine große Kraft.“

Bedrohungen und die Schere im Kopf

colorido versucht in diesem Jahr, eine solche Vernetzung in Plauen anzuregen. Dafür wurde Anfang des Jahres ein Antrag beim Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz“ gestellt. Eine Bewilligung steht bisher aus. Die aufwändigen Anträge sind für den bisher rein ehrenamtlichen Verein eine große Hürde: „Gerade im Ehrenamt raubt das zu viel Zeit. Man kann auch nicht alles aufs Ehrenamt umlegen.“

Sowohl Doritta Korte als auch andere Vereinsmitglieder haben schon Drohschreiben von Neonazis erhalten. Doritta wurde auch in ihrem Wohnumfeld bedroht. Der Verein ist aber bisher von direkten Konfrontationen verschont geblieben. Das kann sich aber schnell ändern. „Dritter Weg“-Leute fotografieren bei Veranstaltungen im öffentlichen Raum, etwa einer Menschenkette im vorigen Jahr, regelmäßig die Teilnehmer_innen ab.

Die Einschüchterung von Seiten den AfD ist subtiler. Die Partei ist zur Landtagswahl 2019 im Vogtland auf Ergebnisse zwischen 26,4 und 28,5 Prozent gekommen, in Plauen hat sie der CDU das Direktmandat abgenommen. Die Kampagne der AfD im vergangenen Jahr gegen den Treibhaus e.V. in Döbeln aufgrund von Plakaten und Aufklebern im Café Courage hat auch Auswirkungen auf Vereine an anderen Orten. „Bei der Einrichtung des coloridoTREFFs haben wir ernsthaft überlegt, was wir hier an die Wand kleben können und was nicht“, erzählt Doritta. Nun prangt an einer Wand groß der Spruch „Demokratie braucht Haltung“. Zur Eröffnung der Räume hat ein Vertreter der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Flyer zur AfD vorbeigebracht. Auch hier stellte sich wieder die Frage, ob die ausgelegt werden können oder nicht.

Doritta stört sich persönlich sehr an dieser Schere im Kopf: „Das ist der Punkt, wo ich mir sage: Da war ich schon mal, das wollten wir nicht mehr. Und jetzt sind wir wieder an diesem Punkt, dreißig Jahre später – was ist denn hier los? Ich bin 1987 nach Berlin gegangen zum Studium. Da hat es in den Hochschulen überall gekocht. Ich war an einer Kunsthochschule, da hat es auch gekocht. Wir haben uns den Mund nicht verbieten lassen. Die Stasi war allgegenwärtig, aber du hast trotz alledem mehr sagen können als heute. Bettina Wegners bekanntes Lied ‚Sind so kleine Hände‘ ist wieder so was von aktuell: ‚Menschen ohne Rückgrad haben wir schon zu viel‘.“

Und weiter?

Wie eingangs schon angedeutet, lassen sich die Aktiven von colorido weder von Corona, noch von schwierigen politischen Verhältnissen oder ausbleibenden Fördermitteln bremsen. So wurde das Musikfestival „Don‘t be silent“ am 1. Mai kurzfristig ins Internet verlegt, ebenso die Lesung zur Erinnerung an die Bücherverbrennungen der Nazis am 10. Mai 1933. Am 14. Juni beteiligte sich colorido mit einem „Band der Solidarität“ in Plauen am dezentralen Aktionstag #SoGehtSolidarisch des Unteilbar-Bündnisses. Und am 8. Juli fand ein gut besuchtes Vernetzungstreffen verschiedener zivilgesellschaftlicher Akteur_innen und Initiativen aus Plauen statt.

„Es waren zwei Stunden spannender Austausch, gegenseitiges Kennenlernen und eine Einigung auf eine digitale Austauschplattform sowie die Planung weiterer Treffen“, berichtet Doritta davon. Langsam geht es wieder los in den Räumen des coloridoTREFF. Einige Veranstaltungen sind in Planung. Das Motto „All different – all equal. Alle anders – alle gleich“ muss gelebt werden.

Kontakt

Ansprechpartner:

Doritta Korte

Straße / Postfach:

colorido e.V.
Dittrichplatz 8
08523 Plauen/Vogtland

E-Mail:

kontakt[at]colorido.de

Internetadresse:

https://colorido.de

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