In Aue beim Kompetenzzentrum für Gemeinwesenarbeit im Erzgebirge

Foto: Angela Klier

Das Kompetenzzentrum für Gemeinwesenarbeit im Erzgebirge (KGE) koordiniert und begleitet Initiativen, die sich im Erzgebirge auf vielfältige Weise für eine demokratische Gemeinwesenarbeit einsetzen.

Demokratieförderung – das heißt für Projektkoordinatorin Angela Klier, die Bedarfe und Wünsche der Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereicheneinzubeziehen. Und so gehört zu den Projekten auch ein Kontakt- und Informationsbüro für Selbsthilfe oder die Arbeit mit Menschen mit Behinderung.

„Wir fungieren als Anschub. Wir bringen die Menschen zusammen, zu einer aktuellen Thematik, und versuchen sie so zu befähigen, dass sie inhaltlich arbeiten können,“ so Klier.

Im Gespräch mit … Angela Klier, Koordinatorin des Kompetenzzentrum für Gemeinwesenarbeit im Erzgebirge

Die jüngsten Entwicklungen?

So lag einer der Arbeitsschwerpunkte 2015 auf der Vernetzung und Weiterbildung der vielen Engagierten im Bereich Asyl. „Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir mittlerweile in allen Regionen aktive Unterstützerkreise haben,“ fast Klier zusammen.

Die Hektik der Anfangszeit, als es um die menschenwürdige Unterbringung der Asylsuchenden ging, hat sich mittlerweile gelegt. Jetzt geht es darum, ein wirkliches Ankommen zu ermöglichen. Die derzeitigen Herausforderungen:

„Wir bringe ich die Menschen in Arbeit? Was kann ich im Nachbarschaftsumfeld tun, um das Miteinander besser zu gestalten, damit sich die Geflüchteten heimisch fühlen und sich integrieren können? Wie können wir in den Kommunen Integration im Großen und Ganzen leben? “

Klier rief daher eine „Allianz für Integration im Erzgebirgskreis“ ins Leben. Mit dabei: Die Agentur für Arbeit, die IHK, Berufsverbände und DGB sowie viele Initiativen und soziale Organisationen. Eine wirkliche Integration setzt eben auch Teilhabe in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens voraus. Auch am Arbeitsmarkt.

Die Landkreisverwaltung widmet sich nun auch dem Thema Integration – u.a. dank Kliers Hartnäckigkeit. Bei der Erarbeitung eines neuen Integrationskonzeptes wurde die Zivilgesellschaft in vielen Arbeitsgruppen eingebunden.

Nicht nur von der Verwaltung, auch von Feuerwehren und Sportvereinen wünscht sich Klier eine Öffnung. Für interessierte Multiplikator_innen bietet sie Schulungen zum Thema interkulturelle Kompetenz und Kommunikation.

Herausforderungen

Kontinuierliche Einbindung der Engagierten in Gemeinwesenarbeit

Nicht überall stößt sie mit diesen Angeboten auf große Resonanz. „Ich habe das Gefühl, für viele ist das Thema gegessen. Weil keine neuen Asylsuchenden mehr ankommen, oder weil viele auch wieder wegziehen,“ so Klier. Wie sie die vielen Engagierten „am Ball halten“ kann, um eine nachhaltige Einbindung der bleibenden Asylsuchenden zu ermöglichen – dafür sucht Angela Klier Ideen.

Probleme

Natürlich haben wir im Erzgebirge ein Problem mit Rechts.“

Alltagsrassismus ist stark verbreitet. Bei einer PEGIDA-Demonstration 2015 marschierten 750 Menschen (FP 10.03.2015). Im April 2016 folgten 600 Menschen dem Aufruf von „Freigeist“ und NPD-Mitglied Stefan Hartung zum Sternmarsch in Aue. „Und die waren nicht alle von außerhalb,“ so Klier.

Stammtischparolen gab es immer, aber PEGIDA habe die Hemmschwelle noch herabgesetzt. Jetzt werden die rassistischen, menschenfeindlichen Parolen ganz offen ausgesprochen. „Ich frage mich immer, ob den Leuten eigentlich bewusst ist, dass sie mit solchen Äußerungen ihre eigene Würde verlieren“, so Klier.

Über die Teilnehmenden der Märsche hört man in der Stadt aber auch andere Sätze: „Das sind doch keine Rassisten, die sind höchstens fremdenfeindlich.“

Denn es gibt noch ein Problem: Keiner möchte über den Rassismus und die Hetze sprechen.

Jüngstes Beispiel: Der Journalist Raphael Thelen besuchte Aue, er wollte über den Sternmarsch berichten. Seine persönlichen Eindrücke schilderte er in der Zeit (Die Zeit 21/2016; neuenormalität.de). Und erntete daraufhin den geballt Zorn der Stadtgesellschaft: Ein Nestbeschmutzer sei er, habe Aue scharf beleidigt. Seine Darstellungen seien total übertrieben, es gäbe kein Problem mit Rechts. (Die Zeit 29/2016)

Thelen stellte sich der Diskussion mit den Aufgebrachten. Moderiert wurde die Veranstaltung von Frank Richter. Thelens Schilderung der Debatte liest sich wie eine Katharsis: Nach wütenden Bürger_innen („Ich bin stolz auf unsere Stadt. […] wenn jemand [wie Sie, Thelen,] versucht, Stunk zu machen, den schmeiß ich raus“) kommen auch andere Stimmen zu Wort:

„Ich glaube, wir machen es uns zu einfach, die beleidigte Leberwurst zu spielen. Ich glaube, die eigentliche Aussage des Artikels von Herrn Thelen war, dass Nazidenke wieder in den Köpfen angekommen ist. Die Weimarer Republik hielt sich auch mal für eine stabile Demokratie. Wie das geendet ist, wissen wir alle. Und ich glaube, der Satz von Brecht: ‚Der Schoß ist fruchtbar noch’ hat noch Gültigkeit. Und das kann jeder in seinem Freundeskreis beobachten: Über Judenwitze wird wieder gelacht, Negerwitze zu machen, ist wieder schick. Und das Schweigen der Mehrheit ist das eigentliche Problem.“ Der Redner erntete viel Applaus.

Und auch Thelen selbst gewann eine neue Erkenntnis. Das eben nicht alle im Erzgebirge Rassisten sind. Das sei nur „eine überlaute Minderheit, die unserer Gesellschaft ihren Stempel aufdrückt, Andersdenkende einschüchtert und Politiker vor sich hertreibt – aber dennoch eine Minderheit“, so sein Fazit.

Auch wenn sie an der Diskussion selbst nicht teilnahm, hat Koordinatorin Angela Klier einige Erfahrung mit dem Problem. „Ich arbeite seit 2002 an diesem Thema,“ so Klier.

Kontinuierlich wirbt sie für ein Problembewusstsein bei Zivilgesellschaft und lokalen Politiker_innen. Denn nur mit vereinten Kräften kann den menschenverachtenden Einstellungen etwas entgegen gesetzt werden.

Wünsche an das Netzwerk Tolerantes Sachsen?

Fokus auf kleine Initiativen auf dem Land

Die Kernaufgabe des Netzwerkes sollte laut Angela Klier sein, die kleinen Initiativen und Vereine im ländlichen Raum zu vertreten. Themen und Bedarfe sind dort andere als in den Städten. Um die zu erfahren, muss man den Mitgliedern auch zuhören.

Nah an den Mitgliedern

Dass der enge Kontakt zu den Projekten und Initiativen extrem wichtig ist, weiß Netzwerkerin Angela Klier. Mehr Mitgliederpflege wünscht sie sich auch beim Toleranten Sachsen. Die TolSax On Tour ist ein guter Beginn, findet Klier, und muss weiter ausgebaut werden.

Themenideen für Regionaltreffen TolSax Konkret

Umgang mit rassistischer Mobilisierung

Auch bei den Regionaltreffen sollte die Situation im ländlichen Raumes beachtet werden: „Wir brauchen hier keinen Input zu Selbstorganisation von Asylsuchenden – weil es einfach keine gibt, die sich organisieren wollen“, gibt Klier ein Beispiel.

Dringend notwendig ist jedoch eine Vernetzung und Bündelung von Ideen für den Umgang mit den rechten Aufmärschen. Angela Klier begrüßt, dass sich das Regionaltreffen in Zwickau auch diesem Thema widmen wird.

Kontakt

Kompetenzzentrum für Gemeinwesenarbeit im Erzgebirge (KGE)

Ansprechperson: Angela Klier
Postplatz 2
08280 Aue

Tel: 03771 49 94 55
E-mail: protoleranz@buergerhaus-aue.de
Web: www.kge-erzgebirge.de

www.lap-olbernhau.de


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(09.08.2016)


Das Interview wurde im Rahmen unserer TolSaxOnTour (2016 und 2017) geführt. Zur Übersicht der Stationen

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