Beim Verband Binationaler Familien und Partnerschaften in Leipzig

„Das Islambild in den Medien“

Özcan Karadeniz vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften im Gespräch mit Prof. Dr. Kai Hafez, Professor für Vergleichende Analyse von Mediensystemen und Kommunikationskulturen an der Universität Erfurt. Zum Interview (Youtube)

Die Geschäftsstelle Leipzig des Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften bringt seit vielen Jahren die Arbeit im Bereich Migration in Sachsen voran.

Zu den vielfältigen Angeboten gehört die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE) sowie die Beratung von bikulturellen Familien und Paaren. Beraterin Anja Treichel unterstützt die Paare bei rechtlichen Fragen, bietet psychosoziale, rechtliche und systemische Paarberatung.

In ihrem Arbeitsalltag fiel auf, dass Männer mit Migrationshintergrund häufig Projektionsfläche für bestimmte Vorurteile sind: Sie seien mehrheitlich strenge Familienpatriarchen, die sich in der Erziehung nicht einbringen; oder gar frauenfeindliche Haltungen haben.

Diesen Vorurteilen entgegenzuwirken – und um Familienväter mit Migrationshintergrund speziell zu unterstützen, dafür entwickelte das Leipziger Team das Bundesmodellprojekt „Vaterzeit im Ramadan?!“.

Mit Veranstaltungsreihen, Seminaren und Publikationen tragen die Projektmitarbeitenden Özcan Karadeniz und Carina Großer-Kaya dazu bei, die Vielfalt der Lebenswelten von muslimischen Vätern in die Öffentlichkeit zu bringen und Islamfeindlichkeit abzubauen. Und fragen dabei auch nach der Verantwortung der Medien.

Sie bieten Weiterbildungen zur interkulturellen Kompetenz für Fachkräfte aus Bildung, Beratung und Betreuung. In den Seminaren werden Geschlechterbilder aus mehrkulturellen Perspektiven diskutiert – und Handlungskompetenzen für den Berufsalltag erweitert.

On Air sind die Stimmen zum interkulturellen Leipzig seit vielen Jahren im „Radio ZWISCHENraum“ zu hören.Alle zwei Wochen Dienstags zwischen 18:00-19:00 live auf Radio Blau (89,2/94,4/99,2 MHz).

Für Jugendliche bietet das Projekte „Kopfkiste Leipzig“ kreative, interkulturelle Ferienworkshops.

Seine Erfahrungen in der Konzeption und Beantragung von interkulturellen Projekten gibt der Verband auch an andere Träger weiter. Anna Sabel und Mamad Mohamad beraten Initiativen, die im Rahmen der sächsischen Förderrichtlinie ‚Integrative Maßnahmen‘ finanziert werden – oder dort zukünftig Gelder beantragen möchten.

Auch bei anderen Fördertöpfen können die Mitarbeitenden Vereinen bei der Antragsstellung helfen – durch Coaching-Angebote. Diese sind sogar als Weiterbildung abrechenbar – sie müssen nur im Budget der Vereine mitbeantragt werden. Im Gespräch mit …Anja Treichel vom Verband Binationaler

Die jüngsten Entwicklungen?

Die Anzahl freiwilliger Helfenden im Bereich Asyl und Migration ist seit dem Sommer 2015 überwältigend.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Motivation, den eigenen Erwartungen und Folien im Kopf – dies ist laut Anja Treichel eine wichtige Voraussetzung für die Interaktion mit den Geflüchteten.

Seit mehr als zwanzig Jahren ist sie bereits in der Migrationszusammenarbeit aktiv. Ihre Bilanz: Das Thema gewinnt immer nur dann an Bedeutung, wenn Fluchtbewegungen nach Deutschland stattfinden – wie z.B. in den 90ern. Dazwischen wurde das Thema vernachlässigt. Und das merkt man auch in der jetzigen Situation.

„Ich sehe äußerst engagierte Menschen, die genau dieselben Fehler machen wie wir damals“, so Treichel. Sich am eigenen Enthusiasmus verausgaben. Die eigene Machtposition als ‚Helfer_in‘ nicht hinterfragen – oder gar ausnutzen. Nicht darüber nachdenken, welche Bilder die Geflüchteten von einem entwickeln. Oder die einzelnen Individuen zur Einheitsmasse der ‚Flüchtlinge‘ objektivieren, ob als positive oder negative Folie – das sind nur einige der Problemfelder.

Wie sie mit den neu gegründeten Initiativen über diese Erfahrungen in Gespräch kommen kann – darüber denkt sie nach.

Herausforderungen

Diskriminierung und Empowerment

Das sind nach wie vor die wichtigsten Felder in der interkulturellen Arbeit. Migrant_innenorganisationen sind weiterhin unterrepräsentiert in Sachsen. Treichel regt an: “Etablierte Projektträger haben nunmal einen besseren Zugang zu Ressourcen wie auch Förderung. Ich sage immer, stellt engagierten Migrant_innen eure Räumlichkeiten zur Verfügung, stellt einen Drucker hin – und sie können sich selbst organisieren und ihre Interessen vertreten.“

So vermeidet man auch, an ihren Bedarfen vorbei Projekte zu konzipieren, zu denen dann keiner kommt.

Probleme

Enormer Bedarf an Weiterbildung im interkulturellen Bereich – aber wenig Fachkräfte

Die Nachfrage an Kompetenz- und Wissensvermittlung ist im vergangenen Jahr stark gestiegen. „Allein in einer Woche habe ich sechs Veranstaltungen, wo ich als Referentin sprechen soll“, so Treichel. Mit der jetzigen personellen Aufstellung komme man kaum hinterher. „Wir bräuchten gerade jetzt mehr Multiplikator_innen im interkulturellen Bereich.“

Doch allzu flexibel kann der Verband nicht auf die neue Situation reagieren – es scheitert auch an der gängigen Förderpraxis: „Wir sind auf Projektförderung angewiesen. Und dafür müssen wir uns immer wieder neue Konzepte ausdenken – auch wenn unsere Modellprojekte gut funktionieren und nachhaltig weitergeführt und ausgebaut werden sollten“, beschreibt Treichel die Crux.

Wünsche an das Netzwerk Tolerantes Sachsen?

Mehr inhaltliche Zusammenarbeit

Treichels Eindruck vom Netzwerk: „Ich frage mich, welche inhaltlichen Schnittmengen die Mitglieder eigentlich haben. Und damit meine ich nicht die Gemeinsamkeit, aus dem Fördertopf des „Weltoffenen Sachsens“ finanziert zu werden.“ Sie wünscht sich einen inhaltlichen Überblick und mehr Austausch.

Öffentlichkeitsarbeit – Relevanz statt Masse

„Ich bekomme jeden Tag so viele Newsletter zugeschickt – wer soll all diese Informationen denn verarbeiten“, fragt sich Treichel. Eine intelligente Auswahl der wichtigsten Inputs wäre für sie hilfreich – auch gerne durch neue Formate: Auf die persönlichen Interessen abgestimmte rss-feeds, beispielsweise.

Themenideen für Regionaltreffen TolSax Konkret

Sensibilisierung für Diskriminierung

Anja Treichel kann sich gut vorstellen, den Teilnehmenden ihre Erfahrungen in der jahrelangen Migrationsarbeit weiterzugeben – besonders zu den Feldern Diskriminierung und Vorstellungen der Ungleichwertigkeit. Denn die tragen wir alle in uns – wir sollten nur lernen, selbstkritisch mit ihnen umzugehen.

Kontakt

Verband Binationaler Familien und Partnerschaften e.V.

Geschäfts- und Beratungsstelle Leipzig

Ansprechperson: Özcan Karadeniz (seit 2017)

Arndtstr. 63
04275 Leipzig
Tel: 0341 / 68 80 022

E-Mail: leipzig@verband-binationaler.de

Web: https://binational-leipzig.de/
Facebook: Verband Binationaler Familien und Partnerschaften Leipzig


(Artikel vom 21.07.2016 | Update Ansprechperson und Kontakt 04.08.2023)


Das Interview wurde im Rahmen unserer TolSaxOnTour (2016 und 2017) geführt. Zur Übersicht der Stationen

Tolerantes Sachsen | Mitglieder und Analyse

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