Kann sich Sachsen die Integration sparen? Durch Kürzungen droht landesweites Projektsterben

Autor_innen: Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.

Die massiven Kürzungen des sächsischen Doppelhaushaltes im Bereich Integration und Demokratiearbeit sind alarmierend. Die Richtlinie „Integrative Maßnahmen“ wird 2026 nur noch zur Abfinanzierung bereits bewilligter Projekte genutzt. Danach läuft sie leer. Es droht ein kompletter Kahlschlag in der zivilgesellschaftlichen Integrationsarbeit in Sachsen, während die rechtsextreme und menschenrechtsfeindliche Bedrohungslage zunimmt.

Erfolgreiche Projekte stehen vor dem Aus

Zahlreiche Projekte, die in Sachsen Integration und gesellschaftliches Miteinander fördern, sind akut bedroht. „Diese Strukturen sind über Jahre gewachsen und haben sich bewährt. Sie jetzt zu zerstören, ist kurzsichtig und gefährdet den sozialen Frieden“, warnt Schmidtke. Ein Beispiel hierfür ist das Atelier Frauenvielfalt in Meißen, es steht für erfolgreiche Integrationsarbeit in Sachsen – und nun wie viele ähnliche Initiativen vor einer ungewissen Zukunft.

Seit 2017 bietet das Projekt migrantischen Frauen einen geschützten Raum für Begegnung, Bildung und Engagement. Doch der Ort ist weit mehr als das wie Teilnehmerin Amina H. erklärt: „Wenn es das Atelier nicht mehr gibt, würde für uns ein Stück Heimat und Halt verloren gehen – vor allem für Frauen auf der Suche nach Gemeinschaft und Stärkung.“

Da solche Räume für Austausch und Selbstermächtigung ohnehin kaum in Sachsen existieren, ist ihr Erhalt essentiell. Dies macht auch Mitarbeiterin Sawsan A. deutlich: „Das Atelier war der erste Zufluchtsort für mich, als ich nach Deutschland kam. Es war der einzige Ort, an dem ich zusammen mit meinen Kindern Deutsch lernen konnte – eine Brücke zwischen unserem früheren Leben und dem neuen Leben in Deutschland.“

Ohne Beratung wird Teilhabe unmöglich

Hier setzt auch der Sächsische Flüchtlingsrat mit dem Projekt „Meine Rechte. Meine Perspektiven.“ an, welches Geflüchtete ohne langfristig gesicherten Aufenthaltstitel in Sachsen berät. Sachsenweit werden hier Menschen zu ihren Perspektiven informiert – vor allem besonders Frauen und schutzbedürftige Personen.

„Die Komplexität des Verwaltungs- oder Sozialrechts verhindert, dass sich Geflüchtete überhaupt ihrer Rechte bewusstwerden. Ohne Beratung droht vielen der Menschen die Perspektivlosigkeit, da wir oft ihre einzige Anlaufstelle sind“, sagt Mitarbeiterin Beate Arnold. Und während diese Projekte der Integration bedroht werden, geraten verbleibende Inseln der Demokratiearbeit ebenso unter Druck – ein doppelter Schlag gegen die Zivilgesellschaft im Freistaat.

Kürzungen bei Demokratiearbeit sind „Schuss ins eigene Knie“

Auch die Band „Banda Comunale“ wäre von Kürzungen betroffen. In den letzten sieben Jahren führte sie in Trägerschaft des Ausländerrates Dresden e.V. über 350 Workshops für etwa 14.000 Schüler*innen in sächsischen Schulen durch. Ein Höchststand rechtsextremer Vorfälle an sächsischen Schulen macht ihre Arbeit umso notwendiger: „Wir tun das, was wir tun aus Überzeugung und weil wir täglich den Bedarf sehen, Kindern und Jugendlichen bei Prozessen der Teilhabe und Selbstwirksamkeit mit guter Laune, Musik und Motivation zur Seite zu stehen. Viele Lehrkräfte schaffen dies beim aktuellen Personalmangel nur bedingt“, erklärt Michal Tomaszewski, Mitglied der Banda Comunale.

Neben der Demokratiefeindlichkeit sind die Kürzungen im Freistaat auch aufgrund einer überalterten Bevölkerung fatal: „Dieser Schritt ist ein Schuss ins eigene Knie. Auch und gerade Sachsen wird ohne Zuwanderung auf lange Sicht die Lebensqualität der Menschen, ihre medizinische Versorgung oder auch handwerkliche Traditionen nicht sichern können“, so Tomaszewski.

Rückschritt in der Willkommenskultur

Die Einsparung der Förderrichtlinie „Integrative Maßnahmen“ markiert daher einen deutlichen Rückschritt in der Integrationspolitik. Trotz nachweislicher Wirksamkeit der Maßnahmen wurde vielerorts auf eine Weiterförderung verzichtet. Seit Beginn des Jahres stehen die Integrationsträger in Sachsen bereits vor der Aufgabe, zentrale integrationspolitische Strukturen unter prekären Rahmenbedingungen aufrechtzuerhalten. Ab 2026 wird es keine neuen Bewilligungen mehr über die Richtlinie geben. Alternativen wurden nicht geschaffen – ein Signal dafür, dass in Sachsen keine langfristige migrationspolitische Strategie existiert.

Drohendes Szenario: Orientierungslosigkeit, Isolation, gesellschaftliche Spaltung

Der SFR sieht die Gefahr, dass Geflüchtete ohne niedrigschwellige Angebote und Beratung in der deutschen Bürokratie untergehen, sich isolieren und kaum Chance auf ein Ankommen haben. „Unser Rechtssystem gerade im Bereich Aufenthalt ist so komplex, dass selbst Einheimische kaum durchblicken. Ohne Unterstützung drohen Orientierungslosigkeit, Perspektivlosigkeit und im schlimmsten Fall Radikalisierung oder Abwanderung in Parallelstrukturen“, so Schmidtke. Die Zivilgesellschaft könne diese Arbeit nicht allein im Ehrenamt auffangen.

Migration ist nicht planbar – Sachsen muss vorbereitet sein

Die jüngste Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine hat gezeigt, dass Fluchtbewegungen nicht planbar sind und sich nicht einfach abschotten lassen. „Wer jetzt Strukturen abbaut, wird im nächsten Krisenfall vor einem Scherbenhaufen stehen. Integration darf keine freiwillige Leistung bleiben, sondern ist staatliche Verantwortung und Voraussetzung für gesellschaftliche Stabilität“, betont SFR-Geschäftsführerin Angela Müller.

Politischer Wille fehlt – Demokratie und Integration sind keine Luxusgüter

Aktuell fehlt in Sachsen der politische Willen den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern. „Es darf nicht nur in bauliche Infrastruktur investiert werden. Wer gesellschaftliche Brücken einstürzen lässt, kann diese anschließend nur schwer wieder aufbauen“, so Schmidtke weiter.

Der Sächsische Flüchtlingsrat fordert den Landtag auf, die geplanten Kürzungen zurückzunehmen und die Finanzierung von Integrations- und Demokratieprojekten langfristig zu sichern. „Demokratiefeinde in ganz Sachsen haben großen Zulauf, rechtsextreme Straftaten sind auf einem Rekordhoch. Wer jetzt spart, zahlt später einen viel höheren Preis – gesellschaftlich wie finanziell“, warnt Schmidtke abschließend.

Hintergrund:
Im Haushaltsentwurf 2025/26 sollen die Mittel für integrative Maßnahmen von 14,9 Mio. Euro (im Jahr 2024) auf 9,38 Mio. Euro in diesem Jahr (-37 %) und für 2026 auf 2,91 Mio. Euro (-80 %) gekürzt werden. Ab dem zweiten Halbjahr 2026 entfällt die Richtlinie vollständig. Zahlreiche Projekte und Beratungsstellen stehen damit vor dem Aus. Mehr Daten dazu vom Toleranten Sachsen  und von der Liga der Freien Wohlfahrtspflege, die ein Factsheet zur Notwendigkeit integrativer Maßnahmen erstellt hat.

Weitere Informationen

Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.

Der Sächsische Flüchtlingsrat e. V. engagiert sich seit 1991 für den Schutz geflüchteter Menschen und für menschenwürdige Unterbringungsbedingungen in Sachsen. Er ergreift Partei für die schutzwürdigen Interessen von Geflüchteten und sichert die öffentliche Kontrolle bei der Umsetzung des Asylverfahrens- sowie des Asylbewerberleistungsgesetzes in Sachsen. Weitere Aufgabenbereiche liegen in der Dokumentation und Veröffentlichung von Menschenrechtsverstößen in diesem Bereich. Du findest unsere Arbeit wichtig? Unterstütze uns jetzt mit einer Spende!

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