„Wir möchten Verständnis für die Abläufe schaffen und Hemmungen abbauen“

Interview mit Jana Weiße von der Zentralen Anlaufstelle für Opfer von Rechtsextremismus und Antisemitismus (ZORA) bei der Generalstaatsanwaltschaft Dresden

(c) GenStA Dresden

Zum 1. Mai 2022 wurde bei der Generalstaatsanwaltschaft Dresden die Zentrale Anlaufstelle für Opfer von Rechtsextremismus und Antisemitismus (ZORA) mit Beratungs- und Unterstützungsfunktion für Betroffene eingerichtet. Um mehr über diese Anlaufstelle zu erfahren, hat sich TolSax-Sprecherin Anna-Maria Kümritz von Trafo – Nachhaltigkeit in Bildung e.V. mit Staatsanwältin Jana Weiße zu einem Interview getroffen. Die Juristin ist gemeinsam mit zwei Kolleg_innen Ansprechperson für kommunale und zivilgesellschaftliche Akteure, die wegen ihrer politischen Aktivität oder ihres ehrenamtlichen Engagements zum Ziel von extremistischen Anfeindungen, Hetze oder Gewalttaten geworden sind oder werden könnten.

Frau Weiße, die ZORA bildet als Angebot der Staatsanwaltschaft ein Novum. Warum wurde diese Zentrale Anlaufstelle eingerichtet?

Im vom Landtag am 16.07.2020 beschlossenen „Gesamtkonzept gegen Rechtsextremismus“ steht, dass neben einer zentralen Anlaufstelle bei der Polizei (wird voraussichtlich am 01.01.23 ihren Betrieb aufnehmen) eine Anlaufstelle für Opfer von Rechtsextremismus und Antisemitismus bei den Staatsanwaltschaften in Chemnitz, Dresden und Leipzig eingerichtet werden soll.

Daneben gab es einen Beschluss der sächsischen Staatsregierung vom 21.12.2021, wiederum zur Bekämpfung des Extremismus im Freistaat. Im Zuge dieses Beschlusses sollten auf Wunsch des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung drei Stellen eingerichtet werden, die als Ansprechpersonen für Kommunalpolitiker und ehrenamtlich Tätige, die sich Anfeindungen ausgesetzt sehen, fungieren.

Um beide Vorhaben besser koordinieren und Synergieeffekte nutzen zu können, wurde beides in der ZORA zusammengefasst und diese zentral bei der Generalstaatsanwaltschaft angesiedelt.

Die ZORA hat also mehrere Aufgabenfelder. Wer kann sich an Sie wenden?

Zunächst: der Name ist ein klein wenig irreführend, weil er nur Opfer von Rechtsextremismus und Antisemitismus erfasst. Unser Spektrum umfasst aber alle Extremismusarten, das heißt Betroffene von extremistischen Anfeindungen aus allen Bereichen – politisch (rechts- und linksextremistisch), islamistisch, religiös oder sonstig motiviert – können sich an uns wenden. Auch Betroffene von Anfeindungen von Corona-Leugnern, Staatsleugnern etc. – das ist alles umfasst.

Dabei sind wir insbesondere Ansprechpersonen für Kommunalpolitiker, Mandatsträger und ehrenamtlich Tätige, die aufgrund ihrer politischen Tätigkeit oder ihres ehrenamtlichen Engagements extremistischen Anfeindungen, Hetze u.ä. ausgesetzt sind oder sein könnten.

Warum ist es von Vorteil, sich an die ZORA anstatt an die Polizei zu wenden, und was können Sie konkret für Betroffene tun?

Wir haben in den bisherigen Veranstaltungen schon von einigen Seiten gehört, dass oft Hemmungen bestehen zur Polizei zu gehen. Auch kann es passieren, dass man z. B. wegen einer Beleidigung im Internet zum nächstgelegenen Polizeirevier geht und dort nicht auf den Spezialisten für diesen Bereich trifft. So bestehen u. a. für politisch motivierte Straftaten spezielle Ermittlungsdezernate, an die man bei der Anzeigeerstattung ggf. nicht gleich gelangt. Dann verstreicht Zeit, in der man schon hätte ermitteln können und es können Beweisverluste eintreten. Manchmal ist es auch sinnvoll, direkt bei der Staatsanwaltschaft Anzeige zu erstatten, so z. B., wenn die zeitnahe Beantragung von Durchsuchungs- oder sonstigen Beweissicherungsmaßnahmen erforderlich ist. Dies können wir vorab prüfen und das gleich in die richtigen Bahnen leiten bzw. Betroffene an die konkret zuständigen Personen weitervermitteln.

Stichwort Hemmungen: Auch die Generalstaatsanwaltschaft kann im ersten Moment einschüchternd wirken. Wie gehen Sie dagegen an?

Das ist der Grund, warum wir uns für einen aufsuchenden Ansatz entschieden haben. Es muss niemand nach Dresden in die Generalstaatsanwaltschaft kommen, die ggf. diesen förmlichen Charakter hat. Wir kommen zu den Betroffenen und können im lockeren Gespräch darüber sprechen: was gibt’s für Probleme? Was gibt es auch für Bedenken? Warum möchte man vielleicht keine Anzeige erstatten? Das betrifft vor allem den Bereich, in dem wir Funktionsträger und ehrenamtlich Tätige beraten, die in ihrem Tätigkeitsfeld in Berührung mit Anfeindungen kommen oder befürchten, angegriffen zu werden. Dadurch möchten wir auch Verständnis für die Abläufe bei den Ermittlungsbehörden schaffen und Hemmungen abbauen.

Neben den individuellen Gesprächen vor Ort mit Betroffenen oder Interessierten möchten wir auch Vorträge und Gesprächsrunden initiieren, in denen wir z.B. über die strafrechtliche Relevanz von extremistischen und antisemitischen Anfeindungen aufklären oder über die Möglichkeiten der Strafverfolgung und den Ablauf von Ermittlungs- und Strafverfahren informieren.

Wo sind die Grenzen Ihrer Arbeit bzw. der Beratungsleistungen, die Sie anbieten?

Wenn wir merken, dass eine individuellere Beratung notwendig ist, dann verweisen wir an entsprechende Opferberatungsstellen.

Als Staatsanwälte haben wir natürlich auch gewisse gesetzliche Grenzen unseres Handelns. Das heißt, wir sind immer der Neutralität und Objektivität verpflichtet und können keine individuelle Rechtsberatung leisten. Dafür, und auch generell bei komplexeren Fällen, würden wir dann an entsprechende Opferberatungsstellen und Rechtsanwälte weiterverweisen.

Für diese individuelleren Beratungen steht ZORA im Austausch mit verschiedenen Einrichtungen der Opferhilfe, auch zivilgesellschaftlichen Organisationen. Wie funktioniert die Vernetzung? Und können sich interessierte Vereine auch von sich aus an Sie wenden?

Ja, wir hatten schon Treffen mit der RAA Sachsen und haben uns mit dem Demokratiezentrum Sachsen vernetzt, worüber wir wiederum weitere Vereinigungen erreichen konnten. Im Bereich Antisemitismus arbeiten wir mit jüdischen Einrichtungen zusammen. Aktuell strecken wir unsere Fühler aus und gehen aktiv auf die Organisationen zu. Aber die Menschen können auch gern auf uns zukommen! Am besten über den kurzen Weg per E-Mail oder Telefon.

Vielen Dank für das Gespräch!

Kontakt und Ansprechpersonen:

Informationen zur ZORA auf der Homepage der Generalstaatsanwaltschaft Dresden

E-Mail: zora@gensta.justiz.sachsen.de

Staatsanwältin als Gruppenleiterin Ute Schmerler-Kreuzer

Telefon: 0351 446-2879

Landeshauptstadt Dresden, Landkreise Bautzen, Görlitz, Meißen und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge

Staatsanwältin Jana Weiße

Telefon: 0351 446-2844

Stadt Leipzig, Landkreise Leipzig und Nordsachsen

Staatsanwalt als Gruppenleiter Sebastian Behler

Telefon: 0351 446-2848

Stadt Chemnitz, Landkreise Erzgebirgskreis, Mittelsachsen, Vogtlandkreis und Zwickau

Redaktion TolSax

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