Wie das Gemeinnützigkeitsrecht reformiert werden soll

Autor_innen: Gesellschaft für Freiheitsrechte

Im August 2021 haben wir unseren Entwurf für ein Demokratiestärkungsgesetz veröffentlicht. Es reformiert das Gemeinnützigkeitsrecht und behebt die akuten Probleme, mit denen die Zivilgesellschaft aktuell konfrontiert ist. Hier beantworten wir häufige Fragen.

A. Allgemeines

  1. Was ist die Zivilgesellschaft und welche Rolle spielt für sie das Gemeinnützigkeitsrecht?
  2. Wo ist das Gemeinnützigkeitsrecht geregelt und wer entscheidet darüber, ob ein Verein gemeinnützig ist?
  3. Wann kann ein Verein als gemeinnützig anerkannt werden?
  4. Was bedeutet der Entzug der Gemeinnützigkeit für eine Organisation?
  5. Warum muss die Abgabenordnung geändert werden?
  6. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur politischen Betätigung von gemeinnützigen Organisationen: Wie viel „Politik“ ist denn nun erlaubt?

B. Diese Änderungen fordern wir

  1. Zusammenfassung der Änderungen
  2. Warum soll die Verfassungsschutzklausel verändert werden? (§ 51 Abs. 3 AO)
  3. Können durch die geforderte Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts nicht auch rechtsextreme Organisationen oder Verschwörungstheoretiker*innen gemeinnützig werden?
  4. Was sind gemeinnützige Zwecke und warum sollen neue Zwecke aufgenommen werden?
  5. Warum muss die Bekämpfung von Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus als neuer Zweck aufgenommen werden?
  6. Warum muss die Förderung der Durchsetzung des Sozialstaatsgebots und der gleichberechtigten Teilhabe aller Menschen als gesonderter Zweck aufgenommen werden?
  7. Warum muss Journalismus als gemeinnütziger Zweck aufgenommen werden?
  8. Warum ist es wichtig, dass die Demokratieförderung stärker betont wird?
  9. Warum muss die politische Bildung explizit mit aufgenommen werden?
  10. Fordert die Gesellschaft für Freiheitsrechte mit dem Gesetzesentwurf ein allgemeinpolitisches Mandat für gemeinnützige Organisationen?
  11. Ist eine unterschiedliche Besteuerung von Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn sich zivilgesellschaftliche Organisationen zunehmend politisch betätigen dürfen?
  12. Besteht die Gefahr einer indirekten Parteienfinanzierung durch gemeinnützige zivilgesellschaftliche Organisationen?
  13. Warum ist es wichtig, dass eine gemeinnützige Körperschaft sich auch „gelegentlich“ zu tagespolitischen Themen äußern und auch andere steuerbegünstigte Zwecke verfolgen kann als ihre Satzungszwecke vorgeben?
  14. Warum ist es notwendig, umfassendere Transparenzpflichten auch für gemeinnützige Organisationen einzuführen?
  15. Stellen die geplanten Transparenzpflichten für kleinere Organisationen nicht eine unnötige bürokratische Hürde dar?
  16. Wie soll durch den Gesetzesentwurf die länderübergreifende Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen vereinfachen und warum ist dies erforderlich?
  17. Wären mit diesem Gesetzentwurf alle Probleme gelöst?

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A. Allgemeines

A.1 Was ist die Zivilgesellschaft und welche Rolle spielt für sie das Gemeinnützigkeitsrecht?

Die Zivilgesellschaft agiert jenseits von Markt, Staat und Privatsphäre. Die Maecenata Stiftung definiert die Zivilgesellschaft als eine lebendige Arena des kollektiven öffentlichen Handelns, in der eine Vielfalt von Positionen zu Fragestellungen, Lösungen und Verfahren zu finden ist . Die zur Zivilgesellschaft gehörenden Akteur*innen werden als zivilgesellschaftliche Organisationen bezeichnet. Sie stellen die organisierte Form zivilgesellschaftlichen Engagements dar.

In Deutschland gibt es ca. 800.000 zivilgesellschaftliche Organisationen. Dazu gehören eine Vielzahl unterschiedlicher freiwilliger Vereinigungen wie Vereine, Stiftungen, Initiativen, Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) und Nonprofit-Organisationen (NPOs). So sind z.B. Sport- und Freizeitvereine, Kunst- und Kultureinrichtungen, Wissenschafts- und Bildungsorganisationen, Menschenrechtsvereine, Wohlfahrtsorganisationen, Umwelt- und Verbraucherschutzvereine zivilgesellschaftliche Organisationen. Millionen Bürger*innen engagieren sich ehrenamtlich in solchen Organisationen, wie dem lokalen Fußballverein, der freiwilligen Feuerwehr, bei Amnesty International oder Greenpeace, bei einer Suchtberatungsstelle oder der Tafel.

Das Gemeinnützigkeitsrecht ist eine wesentliche Grundlage für die Finanzierung der Zivilgesellschaft und daher von elementarer Bedeutung für ihre Handlungsfähigkeit.

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A.2 Wo ist das Gemeinnützigkeitsrecht geregelt und wer entscheidet darüber, ob ein Verein gemeinnützig ist?

In Deutschland ist das Gemeinnützigkeitsrecht nicht etwa in einem gesonderten Gesetz für Gemeinnützigkeit geregelt, sondern primär in der Abgabenordnung, also im Steuerrecht. Die §§ 51 bis 68 Abgabenordnung regeln, wann eine Körperschaft „steuerbegünstigte Zwecke“ verfolgt. Dazu zählen auch die gemeinnützigen Zwecke.

Deshalb entscheiden in erster Linie die zuständigen Finanzämter darüber, ob eine Körperschaft die Anforderungen der Gemeinnützigkeit erfüllt oder nicht. Zusätzlich zur AO gibt es für die Finanzämter einen „Anwendungserlass zur Abgabenordnung“, der als interne Verwaltungsvorschrift konkretisiert, wie die AO anzuwenden ist.

In diesen Anwendungserlass fließt insbesondere die aktuelle Rechtsprechung der Finanzgerichte und des Bundesfinanzhofs ein. Daher hat diese auch einen großen Einfluss auf die Verwaltungspraxis der Finanzämter.

Bei der Frage, wie viel politische Betätigung für Vereine zulässig ist oder was der jeweilige Zweck, etwa der Verbraucherschutz oder die Demokratieförderung, inhaltlich umfasst, haben die Finanzämter oft große Spielräume. Die Entscheidungen der Finanzämter fallen daher sehr unterschiedlich aus, wie eine Studie der Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung zeigte. Diese mangelnde Rechtssicherheit soll unser Gesetzentwurf ebenfalls ausräumen.

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A.3 Wann kann ein Verein als gemeinnützig anerkannt werden?

Eine Körperschaft verfolgt dann gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, „die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern“ (§ 51 Abs. 1 AO). In § 52 Abs. 2 AO ist ein Katalog mit Zwecken enthalten, die anerkanntermaßen die Allgemeinheit fördern, z.B. die Förderung von Kunst- und Kultur (Nr. 5), die Förderung des Verbraucherschutzes (Nr. 16) oder die Förderung des Sports (Nr. 21).

Jede gemeinnützige Körperschaft in Deutschland muss mindestens einen der dort genannten Zwecke (“Katalogzwecke”) fördern. Zwar sieht die AO auch die Möglichkeit vor, Zwecke für gemeinnützig zu erklären, die nicht explizit im Zweckekatalog aufgelistet sind. Davon wird in der Praxis aber kaum Gebrauch gemacht, da ein mehrstufiges Verwaltungsverfahren durchlaufen werden muss, an das sich eine Klage anschließen könnte. Bisher wurde dieses Verfahren nur einmal erfolgreich bis zum Bundesfinanzhof durchlaufen – und zwar für Turnierbridge.

Der Katalog selbst ist abschließend. Zur Anerkennung der Gemeinnützigkeit durch das Finanzamt muss sowohl die Satzung den Anforderungen der AO (vgl. §§ 51, 59, 60 und 61 AO) entsprechen als auch die tatsächliche Geschäftsführung der jeweiligen Körperschaft (vgl. § 63 Abs. 1 AO). Dies überprüft das lokale Finanzamt und stellt bei Vorliegen der Voraussetzungen einen Freistellungsbescheid aus – andernfalls versagt es die Gemeinnützigkeit. Dann darf ein Verein z.B. keine Spendenbescheinigungen mehr ausstellen und sich auch nicht mehr als gemeinnützig bezeichnen.

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A.4 Was bedeutet der Entzug der Gemeinnützigkeit für eine Organisation?

Der Gemeinnützigkeitsstatus geht mit Begünstigungen einher, die für viele zivilgesellschaftliche Organisationen überlebenswichtig sind – etwa steuerliche Entlastungen, die Absetzbarkeit von Spenden und damit Anreize für Spender*innen sowie die Erleichterung von ehrenamtlicher Arbeit. Die Gemeinnützigkeit fungiert auch als Gütesiegel: Der Status der Gemeinnützigkeit eröffnet für viele Organisationen die Möglichkeit, sich von Stiftungen oder Unternehmen fördern zu lassen. Auch für die Nutzung von öffentlichen Einrichtungen, wie z.B. von Sportplätzen oder Bürger*innenhallen, wird oftmals die Gemeinnützigkeit gefordert. Die gesamte Infrastruktur und finanzielle Absicherung vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen steht und fällt daher oft mit der Gemeinnützigkeit. So war jüngst im Kontext der Corona-Krise für zivilgesellschaftliche Organisationen die Möglichkeit, einen Förderkredit durch die KfW zu erhalten, an den Status der Gemeinnützigkeit geknüpft – genau wie die Möglichkeit, Überbrückungshilfen zu erhalten.

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A.5 Warum muss die Abgabenordnung geändert werden?

Der Handlungsraum für zivilgesellschaftliche Akteur*innen in Deutschland wird zunehmend begrenzt. Das Gemeinnützigkeitsrecht wird von Finanzverwaltung und -rechtsprechung immer restriktiver und oft uneinheitlich ausgelegt (vgl. Studie der Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung). In Deutschland hemmt das bestehende Gemeinnützigkeitsrecht die Entwicklung einer politisch aktiven Zivilgesellschaft. Die Einmischung in öffentliche Debatten werden im Grundsatz als schädlich für die Gemeinnützigkeit angesehen und als möglichst einzuschränkende Ausnahme behandelt.

Insbesondere nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zu Attac (siehe unter A.6) ist mehr Rechtsunsicherheit darüber entstanden, wie sehr sich gemeinnützige Organisationen politisch engagieren dürfen. Diese Rechtsunsicherheit hat sich in den letzten Jahren zur Belastung für die demokratische Kultur entwickelt. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen sind akut von der Aberkennung der Gemeinnützigkeit bedroht, etwa die Kultur- und Bildungseinrichtung DemoZ in Ludwigsburg oder die Petitionsplattform change.org.

Zudem werden zunehmend auch die förderwürdigen Zwecke, also die Themen, für die sich Organisationen im Rahmen der Gemeinnützigkeit einsetzen dürfen, eingeschränkt.

Beispielweise wurde dem DemoZ, ein selbstverwaltetem sozio-demokratischen Zentrum in Ludwigsburg, vom Finanzamt die Gemeinnützigkeit entzogen, weil es auf der Website angibt, dass Personen ausgeschlossen werden, die in der Vergangenheit durch rassistisches oder antisemitisches Verhalten aufgefallen sind. Das ist dem Finanzamt zu politisch und damit nicht im Rahmen der „politischen Bildung“ förderbar. Das Finanzamt fordert demnach allen Ernstes politische Neutralität selbst gegenüber solchen Personen ein, die zentrale Grundsätze unserer Verfassung ablehnen (vgl. Art. 3 des Grundgesetzes).

Change.org – Deutschlands größte Petitionsplattform – darf mit ihren Petitionen keine Privaten mehr adressieren, also z.B. keine Petitionen mehr zulassen, die sich für faire Arbeitsbedingungen bei Amazon einsetzen.

Aufgrund dieser Einschränkungen und der Rechtsunsicherheit besteht die Gefahr, dass viele Organisationen gesellschaftliches Engagement aus Angst vor der Aberkennung der Gemeinnützigkeit einstellen. Das kann dazu führen, dass sie keine klare Haltung gegen Rassismus mehr beziehen oder die Öffentlichkeit nicht mehr kritisch über ihre Themen informieren können. Des Weiteren werden Organisationen, die von der Aberkennung bedroht sind, oftmals isoliert. So trauen sich etwa einige Organisationen nicht mehr, mit Attac gemeinsam zu demonstrieren, weil sie um ihren eigenen Status fürchten. Auf der anderen Seite gibt es Organisationen wie die Bürgerbewegung Finanzwende, die ganz bewusst auf den Status der Gemeinnützigkeit verzichtet haben, um sich mehr Handlungsmöglichkeiten zu verschaffen. Diesen mutigen und arbeitsintensiven Schritt können sich aber gerade kleinere, lokale, Vereine oft nicht leisten.

Ebenfalls besorgniserregend ist, dass diese Unsicherheit auch gezielt von anti-demokratischen Aktuer*innen, aber auch von Politker*innen der Mitte als Waffe im politischen Meinungskampf genutzt wird.  Die Erfahrungen der Deutsche Umwelthilfe (DUH) sind nur eines von vielen Beispielen: Der Verein klagte wiederholt darauf, dass die Gesetze zur Luftqualität von den betroffenen Städten eingehalten werden. Die CDU setzte sich daraufhin mehrfach für die Aberkennung der Gemeinnützigkeit des Umweltvereins ein.

Viele andere Vereine, insbesondere solche, die sich gegen Rassismus engagieren, erleben immer wieder Angriffe von rechts – darunter auch öffentliche Vorwürfe, dass ihre Haltung nicht mit der Gemeinnützigkeit vereinbar sei (vgl. den Fall von Campact oder von Miteiander e.V., weitere Beispiele finden Sie in unserem Policy Paper zum Thema „Shrinking Spaces“). Parteien und Politiker*innen arbeiten mit parlamentarischen Anfragen und fordern die Finanzbehörden offensiv dazu auf, gewisse Organisationen genauer zu prüfen. Und auch wenn diese oftmals keine Auswirkungen haben, sie sind doch geeignet, ein Klima der Angst zu schaffen – zumal sowohl die Finanzverwaltung als auch die Gerichte betonen, dass politisches Engagement nur eingeschränkt möglich sein dürfe. Auf diese Entwicklung muss auf gesetzgeberischer Ebene reagiert werden, damit sich zivilgesellschaftliche Organisationen in ihrem Engagement sicher fühlen können.

Die anerkannten Zwecke spiegeln zudem nur sehr begrenzt die Anliegen wider, für die Bürger*innen sich gesellschaftlich einsetzen möchten. Auch nach den punktuellen Reformen durch das Jahressteuergesetz 2020 fehlen immer noch Zwecke wie die Förderung von “Grund- und Menschenrechten” oder der “sozialen Gerechtigkeit”, so dass für diese Zwecke weiterhin ein politisches Engagement gar nicht möglich ist.

Problematisch ist weiterhin, dass nach jetziger Rechtslage die Erwähnung in einem Verfassungsschutzbericht als „extremistische Organisation“ automatisch zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit führt, obwohl die Grundlagen einer solchen Einschätzung typischerweise intransparent und die Rechtsschutzmöglichkeiten dagegen stark eingeschränkt sind. Damit entscheiden in Deutschland derzeit Geheimdienste ohne effektive gerichtliche Kontrolle darüber, welche Organisationen finanziell in ihrer Existenz bedroht werden – und dies, obwohl die Dienste mitunter ihrerseits eine politische Agenda verfolgen.

Eine Reform der Abgabenordnung ist auch mit Blick auf weitere Regelungsbereiche unbedingt notwendig. Es braucht mehr Transparenz bei der Mittelherkunft und -verwendung gemeinnütziger Körperschaften. Gerade wenn gemeinnützige Vereine sich auch in die Politik einmischen, ist es wichtig, dass die Öffentlichkeit nachvollziehen kann, wer diese Vereine finanziert und wofür die Spenden genau eingesetzt werden.

Des weiteren braucht es ein europafreundlicheres Regelungsregime, das auch grenzüberschreitende Tätigkeiten von zivilgesellschaftlichen Organisationen ermöglicht. Zusammengefasst ist eine Reform geboten, die Rechtssicherheit für politisches Engagement herstellt, die Zivilgesellschaft in ihrer tatsächlichen Vielfältigkeit abbildet und so die demokratische Kultur in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt stärkt. Um die akuten Probleme im Gemeinnützigkeitsrecht zu beheben, hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. einen Gesetzentwurf vorgelegt. Dort stellen wir die konkreten Maßnahmen dar, die als Soforthilfe für die politische und kritische Zivilgesellschaft unmittelbar umgesetzt werden müssen.

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A.6 Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur politischen Betätigung von gemeinnützigen Organisationen: Wie viel „Politik“ ist denn nun erlaubt?

Im Wesentlichen ergibt sich dies aus den Entscheidungen des Bundesfinanzhof (BFH) zum politischen Engagement des BUND Hamburg (BFH Urteil vom 20. März 2017 – X R 13/15) und Attac (BFH-Urteil vom 10. Januar 2019 – V R 60/17 und Beschluss vom 10. Dezember 2020 – V R 14/20). In der Entscheidung zum politischen Engagement des BUND Hamburg im Rahmen der Volksinitiative “Unser Hamburg – Unser Netz” hatte der BFH noch festgestellt, dass eine gewisse politische Betätigung zur Verfolgung einer der Katalogzwecke, in diesem Falle der „Umweltschutz“, mit dem Gemeinnützigkeitsrecht vereinbar sei. Mit der Attac-Entscheidung hat der Bundesfinanzhof den Umfang der politischen Betätigungsmöglichkeit für gemeinnützige Organisationen dann erheblich eingeschränkt und vor allem für Rechtsunsicherheit gesorgt.

In dem Urteil erklärte das Gericht die Kampagnenarbeit des globalisierungskritischen Netzwerks Attac für nicht vereinbar mit dem Gemeinnützigkeitsstatus: Die Kampagnenarbeit greife zu stark in die öffentliche Meinungs- und Willensbildung ein. Dies hat der BFH in seinem Beschluss zur Zurückweisung der Revision von Attac im Dezember 2020 erneut bestätigt. Politisches Engagement sei laut der Rechtsprechung nur zulässig, soweit es einen gemeinnützigen Zweck der Abgabenordnung zugeordnet werden kann – und auch dann nur, wenn das politische Engagement nicht den Mittelpunkt der Tätigkeit darstellt. Wie viel politisches Engagement zur Verfolgung eines gemeinnützigen Zweckes nun genau noch zulässig ist, darüber wird seitdem gestritten.

Aufgrund der Tatsache, das sämtliche notwendige finanzielle und infrastrukturelle Ressourcen an die Gemeinnützigkeit geknüpft sind, ist die Angst vor dem Verlust der Gemeinnützigkeit groß. Daher ziehen sich Organisation von selbst oft aus der politischen Betätigung zurück, gehen lieber nicht auf eine Demonstration, nehmen den Appell gegen Rassismus von der Website, oder stellen die öffentlichen Informationen zu ihren Themen ein. (siehe dazu Frage und Antwort A.5.).

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B. Welche Änderungen fordern wir?

B.1 Zusammenfassung

a) Erweiterung des Zweckekatalogs: Der Zweckekatalog des § 52 Abs. 2 AO sollte durch die Aufnahme dringend gebotener Zwecke ergänzt werden. Die neuen Zwecke sind erforderlich, um das tatsächlich vorhandene und unverzichtbare zivilgesellschaftliche Engagement in Deutschland abzubilden und rechtlich abzusichern. Es sollten mindestens folgende Zwecke aufgenommen werden:

  • Die Förderung der Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der nationalen und internationalen Grund- und Menschenrechte,
  • die Bekämpfung
    des Rassismus,
    des Antisemitismus,
    der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung, aufgrund eines Merkmals der Behinderung oder des sozialen Status sowie
    jeglicher anderen ausdrücklich verbotenen Diskriminierung und gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit,
  • die Förderung des Friedens und des gesellschaftlichen Zusammenhalts und die Förderung der Durchsetzung des Sozialstaatsgebots und der gleichberechtigten Teilhabe aller Menschen, sowie
  • der Journalismus.

Außerdem sollte zur Klarstellung die Förderung des demokratischen Staatswesens um die Förderung der demokratischen Teilhabe sowie um ein zeitgemäßes Verständnis der politischen Bildung ergänzt werden. Ein solches zeitgemäßes Verständnis von politischer Bildung umfasst die Befähigung der Bürger*innen zur Bildung einer politischen Haltung und zur wirksamen Beteiligung an aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten.

b) Demokratieförderung: Zusätzlich schlägt unser Gesetzentwurf vor, die Relevanz der Demokratieförderung durch zivilgesellschaftliche Akteur*innen in die Abgabenordnung ausdrücklich aufzunehmen.  

c) Politische Betätigung: Es braucht eine explizite Klarstellung, dass gemeinnützige Zwecke auch dann verfolgt werden, wenn eine Körperschaft sie ausschließlich oder überwiegend durch die Einflussnahme auf die politische Willensbildung und die Gestaltung der öffentlichen Meinung fördert. Nur so wird den Abgrenzungsschwierigkeiten in der bisherigen Praxis begegnet und der Rechtsunsicherheit ein Ende gesetzt.

d) Tagespolitische Themen und spontanes Engagement: Nach unserem Entwurf können sich gemeinnützige Körperschaften in beschränktem Umfang auch für fremde Katalogzwecke und tagespolitische Themen engagieren, ohne dadurch den Gemeinnützigkeitsstatus zu gefährden.

e) Grenzübergreifendes zivilgesellschaftliches Engagement: Der Gesetzentwurf der GFF zeigt, wie das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht in Einklang mit den EU-Grundrechten und -werten sowie den Grundfreiheiten in Einklang gebracht werden kann. Diese Vorschläge sind ein erster Schritt zur dringend notwendigen Förderung von grenzüberschreitender gemeinnütziger Tätigkeit, Kooperation und Geldförderungen zwischen gemeinnützigen Organisationen innerhalb der EU und international. 

f) Reform der Verfassungsschutzklausel: Der Rechtsschutz gegen die quasi automatische Aberkennung der Gemeinnützigkeit aufgrund der Erwähnung in einem Verfassungsschutzbericht sollte wieder umfassend gesichert werden. Der Staat darf keine Vereine mittelbar fördern, die sich gegen das Grundgesetz richten. Die Behauptung, dass ein Verein verfassungsfeindlich agiert, sollte von der Behörde jedoch dargelegt und bewiesen werden, so dass sich Vereine auch dagegen wehren können. Die Einordnung im Verfassungsschutzbericht, die in der Vergangenheit oft undurchsichtig und fragwürdig war, etwa im Falle der Vereinigung der Verfolgten des NS-Regimes, darf für eine Aberkennung nicht mehr allein entscheidend sein.

g) Transparenzregelungen: Gemeinnützige Organisationen entscheiden mittelbar über Steuergelder. Außerdem üben sie gewisse politische Einflussmöglichkeiten aus. Sie sollten daher ebenfalls gewisse Transparenzanforderungen erfüllen.  Sie sollten insbesondere Angaben über die Herkunft ihrer finanziellen Mittel sowie über deren Verwendung Rechenschaft ablegen müssen.

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B.2 Warum soll die Verfassungsschutzklausel verändert werden? (§ 51 Abs. 3 AO)

Gemeinnützige Vereine müssen sich an die verfassungsmäßige Ordnung halten. Der Staat darf keine Vereine durch steuerliche Begünstigungen fördern, die Grund- und Menschenrechte in Frage stellen. Dies ist in der Abgabenordnung mehrfach ausdrücklich geregelt und selbstverständlich. Problematisch ist momentan aber, dass für eine Aberkennung der Gemeinnützigkeitsrecht die verfassungsfeindlichen Bestrebungen nicht immer dargelegt oder gar bewiesen werden müssen.

Stattdessen reicht es aus, wenn eine Organisation im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation erwähnt wird – obwohl die Grundlagen einer solchen Erwähnung oft genug im Dunkeln liegen und ein Rechtsschutz gegen eine fehlerhafte Erwähnung sehr schwer ist. Darauf folgt dann quasi automatisch die Aberkennung der Gemeinnützigkeit, es sei denn, den Vereinen gelingt es, gegenüber dem Finanzamt zu widerlegen, dass sie die Verfassung ablehnen oder ihre Verfassungstreue zu beweisen. Das ist in der Praxis kaum möglich, weil der betroffene Verein ja nicht weiß, welche Indizien er widerlegen muss, da der Verfassungsschutz nur seinen Schluss veröffentlicht, aber nicht die Beweisführung (vgl. auch https://www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de/vvn-bda-wieder-gemeinnuetzig).

Die Streichung der Beweislastumkehr ist daher aus rechtsstaatlichen Erwägungen heraus geboten. Um Rechtsklarheit herzustellen, sollten die Finanzbehörde nachvollziehbar darlegen müssen, welche tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Organisation verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt. So können tatsächlich verfassungsfeindliche Organisationen weiterhin von der Gemeinnützigkeit ausgeschlossen werden. Effektiver Rechtsschutz gegen eine Einordnung würde so aber zukünftig gewährleistet.

Prominentestes Beispiel für eine abwegige Erwähnung in einem VS-Bericht die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), der das Finanzamt zunächst die Gemeinnützigkeit aberkannte und nun kürzlich nach der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung der Verfassungstreue wieder zugesprochen hat.

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B.3 Können durch die geforderte Änderung des Gemeinnützigkeitsrechts nicht auch rechtsextreme Organisationen oder Verschwörungstheoretiker*innen gemeinnützig werden?

Das bestehende Gemeinnützigkeitsrecht und die Rechtsprechung sowohl des Bundesfinanzhofs als auch des Bundesverfassungsgerichts stehen dem klar entgegen.

Das Gemeinnützigkeitsrecht beinhaltet zwei Schutzmechanismen, die eine staatliche Förderung von rechtsextremen Organisationen ausschließen.

Erstens wird als zentrale Voraussetzung für die Gemeinnützigkeit die „Förderung der Allgemeinheit“ vorausgesetzt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs wird diese wesentlich geprägt durch die objektive Wertordnung, wie sie insbesondere im Grundrechtskatalog der Artikel 1 bis 19 des Grundgesetzes zum Ausdruck kommt. Eine Tätigkeit, die mit diesen Wertvorstellungen nicht vereinbar ist, ist keine Förderung der Allgemeinheit. Bestrebungen, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung Deutschlands richten, sind daher nicht gemeinnützig (vgl. BFH, Urteil vom 11. April 2012 – I R 11/11,).

Zweitens fordert das Gemeinnützigkeitsrecht, dass eine gemeinnützige Organisation nach ihrer Satzung und bei ihrer tatsächlichen Geschäftsführung keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen im Sinne des § 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes fördert und dem Gedanken der Völkerverständigung nicht zuwiderhandelt (in § 51 Abs. 3 AO; vgl. B.1). Das Bundesverfassungsgericht sagt dazu, dass antisemitische oder auf rassistische Diskriminierung zielende Organisationen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßen (vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 – „2. NPD-Urteil“;). Dass keine „extremistischen Zwecke“ verfolgt werden dürfen, ist laut der Gesetzesbegründung daher nur die Normierung für einen besonders schweren Fall, schließt aber minder schwere Fälle nicht aus, in denen eine Förderung der Allgemeinheit ebenfalls zu verneinen ist. Grundgesetzschädigende und „ausländerfeindliche Zweckverfolgung“ diente bereits vor der Einführung der Verfassungsschutzklausel nach einhelliger Meinung nicht der Allgemeinheit (vgl. König: König, AO, § 51, 3. Auflage 2014, Rn. 23). Soweit Vereine beispielweise antisemitische oder auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte verbreiten, sind diese als Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sogar als besonders schwerer Fall zu bewerten (vgl. (BVerfG, 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 – „2. NPD-Urteil“ Rn. 541).

Die geforderten Änderungen des Gemeinnützigkeitsrecht ändern an diesen Voraussetzungen nichts.

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B.4 Was sind gemeinnützige Zwecke und warum sollen neue Zwecke aufgenommen werden?

In der Abgabenordnung ist definiert, mit welchen Zielen zivilgesellschaftliche Arbeit verbunden sein muss, damit sie als gemeinnützig anerkannt werden kann (§ 52 Absatz 2 Satz 1 AO in seinen Ziffern 1-26). Die Zwecke bestimmen also die inhaltliche Ausrichtung der gemeinnützigen Arbeit. Jede gemeinnützige Körperschaft in Deutschland muss mindestens einen der dort genannten Zwecke fördern.

Die anerkannten Zwecke spiegeln allerdings nur sehr begrenzt die Anliegen wider, für die Bürger*innen sich politisch einsetzen möchten. Auch nach den Reformen durch das Jahressteuergesetz 2020 fehlen immer noch Zwecke wie die Förderung von “Grund- und Menschenrechten” oder der “sozialen Gerechtigkeit”, so dass für diese Zwecke weiterhin ein politisches Engagement gar nicht möglich ist.

In unserem Gesetzesentwurf fordern wir daher die Aufnahme neuer Zwecke. Die neuen Zwecke sind erforderlich, um das tatsächlich vorhandene und unverzichtbare zivilgesellschaftliche Engagement in Deutschland abzubilden und rechtlich abzusichern. Es sollten mindestens folgende Zwecke aufgenommen werden:

  • Die Förderung der Rechtsstaatlichkeit und der nationalen und internationalen Grund- und Menschenrechte,
  • die Bekämpfung von Rassismus, Antisemitismus sowie von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und sexueller Orientierung, eines Merkmals der Behinderung und des sozialen Status sowie die Bekämpfung von jeglicher ausdrücklich verbotener Diskriminierung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit,
  • die Förderung des Friedens und des gesellschaftlichen Zusammenhalts und die Förderung der Durchsetzung des Sozialstaatsgebots und der gleichberechtigten Teilhabe aller Menschen, sowie
  • der gemeinnützige Journalismus.

Außerdem sollte zur Klarstellung die Förderung des demokratischen Staatswesens um die Förderung der demokratischen Teilhabe sowie um ein zeitgemäßes Verständnis der politischen Bildung ergänzt werden. Ein solches zeitgemäßes Verständnis von politischer Bildung umfasst die Befähigung der Bürger*innen zur Bildung einer politischen Haltung und zur wirksamen Beteiligung an aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten.

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B.5 Warum muss die Bekämpfung von Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus als neuer Zweck aufgenommen werden?

Der Einsatz gegen Diskriminierung muss rechtlich umfassend abgesichert werden. Gerade zivilgesellschaftliche Organisationen und andere gemeinnützige Körperschaften, die sich selbstlos gegen Hass und Menschenfeindlichkeit, gegen Rassismus, Antisemitismus und andere Formen von Diskriminierung einsetzen, sind ein Pfeiler einer demokratischen und friedlichen Gesellschaft, in der ganz unterschiedliche Menschen gleichberechtigt leben können. Die Beiträge der Zivilgesellschaft zur Prävention von Menschen- und Demokratiefeindlichkeit und zur Förderung einer Kultur der Gleichberechtigung, der geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt und einer friedlichen und vielfältigen Migrationsgesellschaft sind unverzichtbar.

Die ausdrückliche Aufnahme stellt zum einen sicher, dass die wichtige gemeinnützige Arbeit in diesen Bereichen auch über den konkreten Schutz und die individuelle Hilfe für Menschen, die von Diskriminierung betroffenen sind, hinausgehen darf. Das ist in der bisherigen Abgabenordnung nicht hinreichend geregelt. Denn Rassismus, Antisemitismus, und andere Formen der Diskriminierung sind gesamtgesellschaftliche Probleme. Daher bedarf es für die Bekämpfung von Diskriminierung über die Hilfe im Einzelfall hinaus auch eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Strukturen sowie entsprechender Bildungsarbeit und eine strukturelle Stärkung und Förderung der betroffenen Gruppen (Empowerment). Diese Aspekte sind von der vorherigen Formulierung nicht ausdrücklich abgedeckt.

Außerdem war es bisher Praxis der Finanzverwaltung, antirassistische Arbeit unter dem Zweck der „Völkerverständigung“ in Nr. 13 zu fassen. Dieser Begriff widerspricht jedoch schon sprachlich dem Einsatz gegen Rassismus, weil es gerade nicht darum geht, „sich gegenüberstehenden Völker“ zu vereinen.

Zum anderen schließt unsere Regelung eine wichtige Lücke: Bisher fehlen viele Formen von verbotener Diskriminierung wie etwa die Diskriminierung aufgrund des tatsächlichen, vermuteten oder zugeschriebenen sozialen Status („Klassismus“), aufgrund eines Merkmals der Behinderung oder aufgrund von Geschlecht oder sexueller Orientierung (bisher im Gesetzestext missverständlich: geschlechtliche Orientierung). Daher fordern wir die ausdrückliche Aufnahme der Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund eines Merkmales, das in Artikel 3 GG oder in einem dem Diskriminierungsschutz dienenden Bundes- oder Landesgesetz benannt wird, so dass der zivilgesellschaftliche Einsatz ausdrücklich für alle verbotene Formen der Diskriminierung möglich ist.

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B.6 Warum muss die Förderung der Durchsetzung des Sozialstaatsgebots und der gleichberechtigten Teilhabe aller Menschen als gesonderter Zweck aufgenommen werden?

Die Förderung der sozialen Gerechtigkeit ist ein Verfassungsauftrag, dessen Erfüllung in besonderem Maße der Allgemeinheit zugutekommt. Ungleichheit in Vermögen und in Einkommen – aber auch in Bildung, Gesundheit und sozialer Absicherung – nimmt jedoch stetig zu und wird durch die Covid-19-Pandemie nochmals drastisch verstärkt. Der Einsatz für soziale Gerechtigkeit wird für die Bewältigung der Krise und ihrer wirtschaftlichen Folgen eine zentrale Rolle spielen. Die Überwindung der sozialen Ungleichheit ist ein Ausfluss des Sozialstaatsgebots des Grundgesetzes. In der Praxis bedeutet dies, dass mehr Menschen eine gute Ausbildung erhalten und am Arbeitsmarkt und am kulturellen Leben teilnehmen können, dass Menschen Zugang zu bezahlbarem und angemessenem Wohnraum haben, dass die Menschen weniger krank sind und eine umfassende Gesundheitsversorgung genießen und dass mehr Menschen ein glückliches und selbstbestimmtes Leben führen können. Der Einsatz dafür, für die Menschenwürde und für eine volkswirtschaftlich stabile sowie friedliche Gesellschaft muss daher mit dem Status der Gemeinnützigkeit gefördert werden. Dazu zählt insbesondre auch die Durchsetzung des Sozialstaatsgebots und der gleichberechtigten sozialen Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen durch die Förderung eines nachhaltigen, stabilen, widerstandsfähigen und sozial gerechten Finanzsystems.

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B.7 Warum muss Journalismus als gemeinnütziger Zweck aufgenommen werden?

Die Gewährleistung von Meinungs- und Pressevielfalt ist durch das Grundgesetz (Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG) vorgeschrieben. Nach der Rechtsprechung des Grundgesetzes sind Grundrechte indes nicht nur Abwehrrechte: Im Gegenteil verpflichten sie alle staatlichen Ebenen, sich schützend und fördernd vor die Ausübung von Grundrechten zu stellen. Schon deswegen irritiert es, dass Journalismus bisher nicht als gemeinnützig anerkannt wird, obwohl die Presse insgesamt offensichtlich von fundamentaler Bedeutung für eine lebendige Demokratie ist.

Der Non-Profit-Journalismus spielt zunehmend eine wichtige Rolle bei der Erhaltung der Meinungs- und Medienvielfalt in Deutschland. Im Auftrag der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen wurde ein Gutachten zum gemeinnützigen Journalismus erstellt. Darin wird betont, dass die Vielfalt der Medien ein wichtiger Bestandteil des Gemeinwohls sei und der Markt allein diese Vielfalt nicht gewährleisten könne. Diese Lücke könne der gemeinnützige Journalismus füllen, denn er sorge für Vielfalt in journalistischen Aktionsfeldern, in welchen die gewinnorientierten Medien mangels Marktrelevanz nicht tätig werden. Das bedeutet, der gemeinnützige Journalismus widmet sich den (gesellschaftlichen) Themenbereichen, die sonst vermutlich nicht abgedeckt würden. Dies kommt offensichtlich der Allgemeinheit zugute.

Bisher versuchen sogenannte Bürgermedien wie der nicht kommerzielle Rundfunk, Blogseiten von Vereinen oder der freie Investigativ-Journalismus, wie das Recherchebüro Correctiv, ihre Gemeinnützigkeit mit bestehenden Katalogzwecken, wie dem Zweck der politischen Bildung oder des Verbraucherschutzes zu begründen. Das bietet jedoch aufgrund von unterschiedlicher Verwaltungspraxis der Finanzämter keine ausreichende Rechtssicherheit und führt darüber hinaus dazu, dass viele journalistische Projekte neben ihrer Kerntätigkeit noch andere Tätigkeiten – wie z.B. die Ausrichtung von Seminaren – anbieten müssen und sich nicht auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren können. Daher ist es erforderlich, den Journalismus in den Zweckekatalog aufzunehmen.

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B.8 Warum ist es wichtig, dass die Demokratieförderung stärker betont wird?

Die Zivilgesellschaft nimmt eine entscheidende Rolle bei der Förderung der Demokratie ein. Das hat auch die Bundesregierung im kürzlich veröffentlichten Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus und Rassismus explizit betont.

Bisher wird jedoch als gemeinnützig angesehen, was die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet fördert. Obwohl die „allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens“ (§ 52 Abs. 2 Nr. 24 AO) bereits als Zweck anerkannt ist, ist es wichtig, dass auch die Demokratieförderung im Gemeinnützigkeitsrecht als übergeordneter Zweck stärker betont wird. Denn die Förderung der Demokratie kommt der allgemein im besonderen Maß zugute.

Durch die stärkere Betonung der Demokratieförderung in der Generalklausel kann in Zukunft demokratisches Engagement nicht mehr so leicht eingeschränkt werden, wie es bisher der Fall war. Es sollte in Zukunft auch leichter sein, neue Zwecke in den Katalog mit aufzunehmen, wenn sie der Demokratie dienlich sind. Außerdem wird damit deutlich, dass zivilgesellschaftliche Organisationen nicht nur Dienstleister*innen für den Staat sind, in dem sie etwa soziale Aufgaben übernehmen, die eigentlich dem Staat obliegen, wie die Fürsorge und Unterstützung von Obdachlosen. Neben ihrer unerlässlichen Fürsorgearbeit, ist auch die Rolle der Zivilgesellschaft für unsere Demokratie endlich rechtlich anzuerkennen.

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B.9 Warum muss die politische Bildung explizit mit aufgenommen werden?

Die politische Bildung ist bereits von der Rechtsprechung als gemeinnütziger Zweck anerkannt und wurde bisher aus den Katalogzwecken der Volksbildung (Nr. 7) und der Förderung des demokratischen Staatswesens (Nr. 24) abgeleitet. Allerdings wurde der Begriff der politischen Bildung durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes stark eingeschränkt. Die politische Betätigung im Rahmen des gemeinnützigen Zwecks der „politischen Bildung“ ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nur zulässig, wenn sie sich inhaltlich auf bildungspolitische Fragestellungen beschränkt und sich im Übrigen inhaltlich in geistiger Offenheit vollzieht und „die so entwickelten Lösungsvorschläge nicht durch die Einflussnahme auf politische Willensbildung und öffentliche Meinung“ durchgesetzt werden sollen. In der Verwaltungspraxis der Finanzämter wird der Begriff daher teilweise so eng ausgelegt, dass

  • ein wert- und meinungsneutraler Umgang mit jeglichen Themen gefordert wurde,
  • die Einnahme einer politischen Haltung als schädlich für die Gemeinnützigkeit gesehen wurde,
  • selbst menschenverachtenden Aussagen nicht ausdrücklich widersprochen werden durfte (vgl. den Fall des Kultur- und Bildungszentrums DemoZ).

Durch die ausdrückliche Aufnahme der Förderung der politischen Bildung ist eine mittelbare Herleitung aus anderen Zwecken nicht mehr nötig, sodass auch für einschränkende Auslegungen wie das Erfordernis der „geistigen Offenheit“, die im Gesetzeswortlaut ohnehin keine Stütze finden, endgültig kein Raum mehr bleibt. Vielmehr ist ein für eine funktionierende Demokratie notwendiges, modernes Verständnis von politischer Bildung zugrunde zu legen.

Ein zeitgemäßes Verständnis von politischer Bildung umfasst die Förderung von politischer Handlungsfähigkeit und von partizipativem gesellschaftspolitischem Handeln – also gerade die Befähigung der Bürger*innen zur Bildung einer politischen Haltung und zur wirksamen Beteiligung an aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten.

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B.10 Fordert die Gesellschaft für Freiheitsrechte mit dem Gesetzesentwurf ein allgemeinpolitisches Mandat für gemeinnützige Organisationen?

Nein. Der Gesetzesentwurf sieht z.B. nicht vor, dass die „politische Betätigung“ als alleiniger Zweck aufgenommen wird. Die politische Betätigung soll auch weiterhin nur als Mittel zur Zweckverfolgung zulässig sein. Allerdings versteht der Bundesfinanzhof den Umfang der verfassungsrechtlich zulässigen politischen Betätigung von gemeinnützigen Organisationen zu eng. Das soll der Gesetzesentwurf korrigieren.

Denn das Grundgesetz sieht vor, dass auch andere Akteur*innen als die Parteien sich politisch betätigen dürfen und bei der politischen Willensbildung mitwirken dürfen. Im Grundgesetz heißt es: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit (Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG). Wie das Bundesverfassungsgericht eindeutig klargestellt hat, heißt dies, dass die politischen Parteien gerade kein Monopol auf die Einwirkung auf die öffentliche Meinung haben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind vielmehr auch Bürger*innen sowie Verbände, Gruppen und Vereinigungen dazu berufen, auf die Meinungs- und Willensbildung einzuwirken.

Auf der Ebene der Europäischen Union ist ebenfalls die Rolle der Zivilgesellschaft als Schlüsselakteurin für die Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten anerkannt. Die demokratische Einbindung der Zivilgesellschaft ist auf EU-Ebene sogar rechtlich verankert (Art. 11 EUV).  

Die Einflussnahme auf die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung durch gemeinnützige Organisationen darf daher nicht der Gemeinnützigkeit entgegenstehen – auch dann nicht, wenn sie ausschließlich oder überwiegend verfolgt wird, solange dies einem Katalogzweck dient. Das stellt der Gesetzesentwurf klar.

Dies bedeutet aber nicht, dass zivilgesellschaftlichen Organisationen ein „allgemeinpolitisches Mandat“ zugesprochen würde, denn die Förderung der Allgemeinheit richtet sind noch immer nach dem Zweckekatalog. Es soll aber verhindert werden, dass Organisationen bei der Verfolgung ihrer Satzungszwecke ständig einen Drahtseilakt vollführen müssen und permanent mit dem drohenden Verlust der Gemeinnützigkeit konfrontiert sind, wenn sie ihre Satzungszwecke durch politisches Engagement fördern.

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B.11 Ist eine unterschiedliche Besteuerung von Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn sich zivilgesellschaftliche Organisationen zunehmend politisch betätigen dürfen?

Ja. Ausgangspunkt dieser Frage ist, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die steuerliche Förderung politischer Parteien nur in den engen Grenzen des in der Verfassung verankerten demokratischen Gleichheitssatzes möglich ist. Grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass eine steuerliche Begünstigung von Spenden an politische Parteien nur in dem Rahmen zulässig ist, in dem zum einen die Chancengleichheit im politischen Wettbewerb nicht berührt wird und zum anderen das Recht des Bürgers auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung nicht beeinträchtigt wird. Daher stellt sich die Frage, ob die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze auch auf sich politisch betätigende zivilgesellschaftliche Organisationen übertragen werden müssen.

Dies ist nicht der Fall, denn zivilgesellschaftliche Organisationen sind deutlich von Parteien und Wählergemeinschaften abzugrenzen. Zentraler Unterschied ist die Ausrichtung, mit der die politischen Parteien einerseits und gemeinnützige Organisationen andererseits an der politischen Willensbildung mitwirken: Politische Parteien sind auf die Teilnahme an Wahlen und Besetzung von Verfassungsorganen ausgelegt (vgl. § 2 Abs. 1 PartG). Sie streben Machtpositionen und Entscheidungsbefugnisse an. Mit anderen Worten, sie wollen das Land regieren.

Gemeinnützige Körperschaften nehmen nicht an Wahlen teil, ihre Tätigkeit ist nicht auf politische Macht ausgerichtet, sie besetzen keine Ämter und wirken allenfalls mittelbar durch Information der Öffentlichkeit auf Entscheidungsprozesse ein. Die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die steuerliche Förderung politischer Parteien entwickelten Grenzen können daher nicht “eins zu eins” auf die steuerliche Förderung politisch tätiger zivilgesellschaftlicher Organisationen übertragen werden. Eine unterschiedliche Besteuerung ist daher gerechtfertigt (vgl. https://freiheitsrechte.org/gff-rechtsgutachten-gemeinnutzigkeit_prof-unger_mai2020/).

Voraussetzung ist freilich, dass sich gemeinnützige Organisationen nicht de facto als „verlängerter Arm“ einer Partei engagieren. Insofern ist strikt zwischen legitimem politischen und nicht zulässigem parteipolitischen Engagement zu differenzieren.

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B.12 Besteht die Gefahr einer indirekten Parteienfinanzierung durch gemeinnützige zivilgesellschaftliche Organisationen?

Nein. Parteipolitische Neutralität wird durch bereits bestehende gesetzliche Regelungen sichergestellt. In § 55 Abs. 1 Nr. 1 S.3 AO heißt es: Die Körperschaft darf ihre Mittel weder für die unmittelbare noch für die mittelbare Unterstützung oder Förderung politischer Parteien verwenden. In § 25 Abs. 2 Nr. 2 Parteiengesetz ist ebenfalls geregelt, dass Parteien Spenden von gemeinnützigen Körperschaften nicht annehmen dürfen. Die Gefahr, dass mit umfassender politischer Betätigung eine indirekte Parteienfinanzierung einhergeht, ist bereits aus diesem Grund nicht gegeben.

Zudem sieht der Gesetzesentwurf als Ausgleich für eine umfangreichere politische Betätigungsmöglichkeit auch eine umfangreichere Offenlegungspflicht bezüglich Mittelherkunft und -verwendung sowie personeller Strukturen von gemeinnützigen Organisationen vor. Durch diese Transparenzregelungen wird sichergestellt, dass keine indirekte Parteienfinanzierung erfolgt und der Raum für Umgehungsstrukturen minimiert.

So hat das Bundesverfassungsgericht sogar in Bezug auf die staatliche Förderung parteinaher politischer Stiftungen anerkannt, dass eine verdeckte Parteienfinanzierung dadurch nicht bewirkt wird und die Tätigkeiten der politischen Parteien und der Stiftungen verschiedene, voneinander abgrenzbare Ziele verfolgen (vgl. BVerfG, Urteil vom 14.07.1986 – 2 BvE 5/83). Voraussetzung ist nur, dass diese ihre satzungsgemäßen Aufgaben in hinreichender organisatorischer und personeller Unabhängigkeit von den ihnen nahestehenden Parteien erfüllen. Nichts anders kann für gemeinnützige Organisationen gelten, die noch nicht einmal eine besondere Parteinähe aufweisen.

Darüber hinaus ist die Gefahr von intransparenten Parteispenden durch zivilgesellschaftliche Organisationen in der Realität gering. Die Gefahr einer Verzerrung des politischen Meinungskampfs geht vielmehr von Spenden von Unternehmen aus, insbesondere auch durch das sogenannte „Sponsoring“. Anders als bei Parteispenden müssen die Geldgeber*innen beim Sponsoring nicht in den Rechenschaftsberichten aufgeführt werden und bleiben deswegen meist anonym. Vor allem aber können Unternehmen ihr PR-Engagement in aller Regel als Betriebsausgaben geltend machen, sodass sie bereits heute in der Lage sind, fast beliebige Summen steuerbegünstigt für politische Einflussnahme auszugeben. Hier würde der Gesetzentwurf der GFF mehr Chancengleichheit zwischen Wirtschaft und Zivilgesellschaft erreichen.

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B.13 Warum ist es wichtig, dass eine gemeinnützige Körperschaft sich auch „gelegentlich“ zu tagespolitischen Themen äußern und auch andere steuerbegünstigte Zwecke verfolgen kann als ihre Satzungszwecke vorgeben?

In einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft darf es zivilgesellschaftlichen Akteur*innen nicht aufgrund von übermäßigem Formalismus verwehrt bleiben, spontan Zwecke zu unterstützen, die sogar im Zweckekatalog also “offiziell” die Allgemeinheit fördern aufgelistet sind. Dadurch wird zivilgesellschaftliches Engagement gehemmt und der gesellschaftlichen Realität nicht entsprochen.

Nach der bisherigen Rechtslage sind gemeinnützige Körperschaften deswegen daran gehindert, sich zu allgemein anerkannten Zwecken spontan zu engagieren, wenn sie diese nicht zuvor in ihrer Satzung angeben hatten, weil kurzfristige Satzungsänderungen nicht möglich sind. Daher sieht der Gesetzesentwurf eine Klarstellung vor, dass eine gelegentliche Verfolgung von gemeinnützigen Zwecken, die nicht in der Satzung festgehalten sind, möglich sein muss. Ein Sportverein sollte sich an einer Anti-Rassismus-Demonstration beteiligen können, obwohl er offiziell nur den Zweck “Förderung des Sports” verfolgt, eine Entwicklungshilfeorganisation sollte auch zu einer Klimaschutzdemo mit aufrufen dürfen und ein Gesangsverein sollte kurzfristig Masken zum Schutz vor Corona nähen dürfen.

Darüber hinaus muss auch ein gelegentliches Engagement zu tagespolitischen Themen zulässig sein. Tagespolitische Themen sind solche, die sich durch ihre Neuartigkeit und Aktualität sowie durch ihre Relevanz für die Allgemeinheit auszeichnen. Auch diese Regelung schafft einen Ausgleich zur Starrheit des Zweckekatalogs. Zivilgesellschaftliches Engagement aus akutem Anlass, als Reaktion auf unvorhersehbare Ereignisse darf nicht durch das Gemeinnützigkeitsrecht selbst blockiert werden. Die Corona-Pandemie hat deutlich gezeigt, wie wichtig spontanes und solidarisches zivilgesellschaftliches Engagement zur Bewältigung einer Krise sein kann. Soll hingegen ein bestimmter Zweck langfristig verfolgt werden, wird auch nach dem Gesetzesentwurf eine Satzungsänderung erforderlich bleiben.

So können sich Spender*innen, Mitglieder und die Öffentlichkeit auch weiterhin darauf verlassen, dass die Organisation langfristig und im Großen und Ganzen nur ihre Satzungszwecke verfolgt.

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B.14 Warum ist es notwendig, umfassendere Transparenzpflichten auch für gemeinnützige Organisationen einzuführen?

Wenn der politischen Betätigung gemeinnütziger Vereine mehr Raum geschaffen wird, müssen zusätzliche Transparenzanforderungen eingeführt werden. Da sich nach unserem Gesetzesentwurf gemeinnützige Körperschaften umfassend an der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung beteiligen und dabei auch versuchen dürfen, Einfluss auf politische Prozesse zu nehmen, ist offenzulegen, woher die Körperschaften ihre finanziellen Mittel beziehen und wofür sie ihre Mittel verwenden.

Diese Verpflichtung zur Finanztransparenz dient zum einen der Sicherung des Rechts der Bürger*innen auf gleiche Teilhabe am politischen Willensbildungsprozess. Zwar sind gemeinnützige Körperschaften nicht den strengen Grundsätzen der Parteienfinanzierung zu unterwerfen, da sie nicht mit politischen Parteien im Wettbewerb um Wähler*innenstimmen und konkrete Entscheidungsbefugnisse stehen (B. 8). Sie sind daher verfassungsrechtlich nicht an die Chancengleichheit im politischen Wettbewerb gebunden. Das individuelle Recht der Bürger*innen auf gleiche Teilhabe am politischen Willensbildungsprozess ist allerdings auch für die politische Betätigung von gemeinnützigen Körperschaften relevant.

Es muss bestmöglich verhindert werden, dass der Staat die ohnehin ungleichen finanziellen Einflussnahmemöglichkeiten der Bürger*innen durch Steuerprivilegien noch vergrößert. Zur Absicherung der gleichen Teilhabe am politischen Willensbildungsprozess sind daher auch zivilgesellschaftliche Organisationen Transparenzanforderungen und Rechenschaftspflichten zu unterwerfen. Darüber hinaus entscheiden steuerbegünstigte Körperschaften mittelbar über Steuergelder, über die sonst der Bundestag durch Haushaltsgesetze entscheiden würde. Daher können von steuerbegünstigten Körperschaften Rechenschaftspflichten über die Mittelverwendung sowie über deren Integrität verlangt werden.

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B.15 Stellen die geplanten Transparenzpflichten für kleinere Organisationen nicht eine unnötige bürokratische Hürde dar?

Der Gesetzesentwurf sieht Abstufungen für die Transparenzangaben vor. So soll verhindert werden, dass kleinere Körperschaften durch bürokratische Hürden an ihrer Arbeit gehindert werden, die gerade in kleineren Vereinen überwiegend durch Ehrenamtliche geleistet wird. Daher wird ein Schwellenwert von 250.000 Euro Jahreseinnahmen für die neu eingeführten Veröffentlichungspflichten in Bezug auf Großspenden festgelegt. Unterhalb dieser Schwelle sind die Einflussnahmemöglichkeiten auf die politische Meinungs- und Willensbildung durch einzelne juristische und natürliche Personen gering, sodass es hier grundsätzlich einer Veröffentlichungspflicht zum Ausgleich der politischen Teilhabemöglichkeiten nicht bedarf. Zudem trifft die Verpflichtung, einen Jahresabschluss entsprechend den Vorschriften des Handelsgesetzbuches zu erstellen, nur solche Organisationen, deren Gesamteinnahmen 1.000.000 Euro übersteigen oder die aus anderen Gründen ohnehin bilanzierungspflichtig sind.

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B.16 Wie soll durch den Gesetzesentwurf die länderübergreifende Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen vereinfachen und warum ist dies erforderlich?

Klimakrise, soziale Gerechtigkeit, Korruptions- oder Terrorismusbekämpfung, Flucht und Migration: Viele der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit sind europäisch oder sogar global. Das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht wirkt über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus. Zum einen beeinflusst es, wie gut zivilgesellschaftliche Organisation dazu beitragen können, gesamteuropäische Aufgaben zu bewältigen. Zum anderen hat es Folgen dafür, wie kooperationsfähig die deutsche Zivilgesellschaft ist. Die Abgabenordnung erschwert grenzüberschreitende Tätigkeiten allerdings, da ihre Regelungen vor allem auf innerstaatliche Aktivitäten zugeschnitten sind. Hingegen muss ein zukunftsfähiges deutsches Gemeinnützigkeitsrecht darauf abzielen, eine europäische und global vernetzten Zivilgesellschaft zu fördern, denn es bildet sich zunehmend eine transnationale, europäische Zivilgesellschaft heraus.

Unser Gesetzentwurf schafft Abhilfe, indem er

  • erstens den sogenannten “strukturellen Inlandbezug” in § 51 AO streicht. Demnach musste die Verwirklichung der steuerbegünstigenden Zwecke im Ausland immer auch „zum Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland beitragen“. Eine solche Formulierung ist europarechtswidrig und steht der Idee einer europäischen Zivilgesellschaft entgegen.
  • Zweitens wird auch der sogenannte “inhärente Inlandsbezug” gestrichen. Dieser schränkte europäische und globale gemeinnützige Tätigkeit ein, weil viele Zwecke nur auf deutsche Gesetze Bezug nahmen oder Bescheinigungen deutscher Behörden forderten.
  • Drittens müssen nun auch europäische Körperschaften für eine zulässige gemeinnützige Kooperationen mit deutschen Organisationen nicht mehr die Anforderungen des gesamten deutschen Gemeinnützigkeitsrechts erfüllen, sondern nur noch ihre von deutschen Organisationen empfangenen Mittel für in der AO anerkannten Zwecke einsetzen.
  • Um das sicher feststellen zu können, besteht nun – viertens – ein Antragsrecht für europäische Organisationen zur Überprüfung, ob die Voraussetzungen bei ihnen vorliegen.
  • Fünftens, als weiteren Beitrag zur Finanztransparenz, können sich jetzt auch europäische Körperschaften in das Zuwendungsempfängerregister eintragen lassen.

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B.17 Wären mit diesem Gesetzentwurf alle Probleme gelöst?

Der Gesetzesentwurf soll primär die besonders akuten Probleme im Gemeinnützigkeitsrecht beheben. Er stellt eine Art Soforthilfeprogramm dar, das es umzusetzen gilt, um den bestehenden zivilgesellschaftlichen Organisationen jetzt den nötigen Schutz zu bieten und einer fortschreitenden Selbstzensur und Entpolitisierung der Zivilgesellschaft entgegenzuwirken.

Darüber hinaus wird es weiterhin einer grundlegenderen Reform bedürfen, um ein zukunftsfähiges und nachhaltiges Gemeinnützigkeitsrecht zu schaffen.

In unserem Policy Paper „7 Punkte für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht“ schlagen wir vor:

  1. Umstellung von einem abschließenden Zweckekatalog auf eine zukunftsfähige Generalklausel. Nur so kann sich das Gemeinnützigkeitsrecht den gesellschaftlichen Entwicklungen angemessen zeitnah anpassen.
  2. Schaffung nachhaltiger institutioneller Strukturen. Denn die Entscheidung über den Status der Gemeinnützigkeit und damit wesentlich über die Handlungsfähigkeit der Zivilgesellschaft sollte in Zukunft nicht mehr ausschließlich in der Hand von Steuerverwaltung und -gerichtsbarkeit liegen.
  3. Neue Regeln für die Mittelverwendung und Rücklagenbildung, um die finanzielle Bewegungsfreiheit zivilgesellschaftlicher Organisationen auszuweiten.
  4. Streichung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes – dieser ist auf Grund der vielen Ausnahmen überflüssig und sorgt für Rechtsunsicherheiten und Missverständnisse.
  5. Weitere Maßnahmen zur Förderung der europäischen wie globalen Zusammenarbeit. Unser Gesetzentwurf legt dar, wie zahlreiche europarechtswidrige Hindernisse abgebaut und das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht in Einklang mit den EU-Grundfreiheiten, Grundrechten und -werten gebracht werden. Im nächsten Schritt geht es darum, auch die internationale Zusammenarbeit von NGOs zu stärken.
  6. Die Möglichkeit eines geregelten Ausstiegs aus der Gemeinnützigkeit, denn ein Ausstieg aus der steuerrechtlichen Überwachung in eine unregulierte Organisationsform muss jederzeit kalkulierbar möglich sein.
  7. Faire Sanktionsregeln für Verstöße. Ein abgestuftes Sanktionssystems ermöglicht es, den Verlust des Gemeinnützigkeits-Status als ultima ratio beizubehalten, gleichzeitig aber auf Bagatellverstöße mit milderen Mitteln zu reagieren, insbesondere Strafzahlungen. Das ist verhältnismäßig und schafft Rechtssicherheit.

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Redaktion TolSax

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