Kein Sparkurs bei politischer Bildung – demokratische Brandmauer halten!

An: Digitalisierungsminister Volker Wissing (FDP), Innenministerin Nancy Faeser (SPD), Justizminister Marco Buschmann (FDP), An die Fraktionsvorsitzenden aller demokratischen Parteien im Deutschen Bundestag

Autor_innen: Amadeu Antonio Stiftung

Rechtsextreme Meinungsmache, antidemokratische Einstellungen bis weit in die Mitte der Gesellschaft und massiver Hass im Netz bedrohen unsere Demokratie. Daraus spricht eine Ablehnung der Demokratie und ihrer Werte, von Unverständnis bis Verachtung und damit eine Bedrohung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Wer soll dieser Entwicklung entgegentreten, wenn es nicht eine starke demokratische Zivilgesellschaft gibt, die zusammen steht, online und offline? Diese Zivilgesellschaft braucht Bildung, Argumente und Unterstützung – keine Streichung von Präventionsarbeit und Demokratieförderung. Nichts weniger als die Zukunft unserer wehrhaften Demokratie steht auf dem Spiel und wir sind nicht bereit, tatenlos zuzusehen:

Sehr geehrte Fraktionsvorsitzende,
sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung,

Sie können nicht ignorieren, dass wir eine nachhaltige Präventionsarbeit und politische Bildung für eine starke Demokratie und eine starke Zivilgesellschaft brauchen – gerade auch im Internet! Wir fordern, dass dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr als neue Behörde, die für den Digital Services Act zuständig ist, auch ausreichend Mittel für die Förderung digitaler Bildungs- und Präventionsarbeit zur Verfügung gestellt werden, um das Thema Hass im Netz weiter angemessen zu bearbeiten.

Warum ist das wichtig?

90 % der jungen Menschen zwischen 14 und 24 Jahren wurden bereits mit Hass im Netz konfrontiert und 56 % aller Jugendlichen stoßen laut einer Befragung regelmäßig auf Falschinformationen im Netz. Die Folge: Immer mehr Menschen ziehen sich aus Online-Diskussionen zurück. Sie sprechen nicht mehr mit. Aber sie lesen auch nicht mehr mit. Ihnen wird also eine Informationsquelle zur Meinungsbildung genommen. Diese erschreckenden Tendenzen zeigen: Mit Regulierung allein lässt sich dem Thema nicht beikommen. Wir sind mehr denn je auf Medienkompetenzbildung und Demokratieförderung angewiesen, um eine lebendige Demokratie fernab von Hass und Hetze leben zu können.

Nur wer sich online sicher fühlt, kann seinen Standpunkt vertreten, diskutieren, zuhören und zu einem Schluss oder Kompromiss kommen – und das ist es letztendlich, was unsere Demokratie ausmacht und zusammenhält. Dabei helfen Unterstützungsstrukturen, die gerade von Haushaltsstreichungen bedroht sind. Sie sorgen für Schutz und Beratung, für eine Brandmauer gegen Hass und Hetze, gerade wenn andere sich wegducken.

Deshalb brauchen wir eine langfristige Förderung von Projekten, die Kompetenzen im Umgang mit Hass im Netz vermitteln und die digitale Zivilgesellschaft stark machen.

Denn wirkungsvoll wird das neue EU-Digital-Gesetz erst werden, wenn Regulierung, Strafverfolgung und Sanktionen von Netzwerken mit einer Förderung von Präventions- und Beratungsprojekten kombiniert wird, um eine gute Debattenkultur zu etablieren, bevor der Hass entsteht.

Sonst droht ein antidemokratischer Flächenbrand, nicht nur im Internet.

So wird an der falschen Stelle gespart. Denn gespart wird am Schutz der Demokratie, die Garant ist für die Freiheit aller Menschen.


Betroffen sind u. a.:

Projektmittel für präventive Bildungsarbeit und Beratungsarbeit | Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat dem Projekt „firewall“ der Amadeu Antonio Stiftung nach Ablauf des Jahres die Aussicht auf Weiterförderung eines Medienkompetenzprojektes gestrichen. Das Projekt hat von Flensburg bis zum Bodensee junge, engagierte Menschen und Sozialarbeiter*innen ausgebildet. Sie geben jährlich über 100 Workshops zu den Themen „Hass und Desinformation im Netz“ und „digitale Zivilcourage“ und leisten damit einen enormen Beitrag dazu, dass das Internet ein besserer Ort für uns alle wird. Auch der Organisation HateAid werden vom BMJ die Mittel gekürzt und ihre Arbeit in der Betroffenenberatung dadurch erheblich beschränkt. Über 3.300 Menschen konnte HateAid seit 2018 unterstützen.

Das große, bundesweit agierende politische Bildungsprogramm der “Respect Coaches” (wird von den Jugendmigrationsdiensten für das BMFSFJ umgesetzt), die auch immer wieder zum Thema Hass im Netz gearbeitet haben, ist ebenfalls betroffen.

Jugendarbeit | Im Kinder- und Jugendplan sowie in der politischen Bildung sind ebenfalls dramatische Kürzungen vorgesehen. Damit droht auch aus Sicht des Arbeitskreises deutsche Bildungsstätten e.V. ein Substanzverlust für die wichtige Arbeit der Demokratiebildung. Für präventive Bildungsprojekte wie “firewall” sind die Fachkräfte der Kinder- und Jugendarbeit entscheidende Multiplikator*innen und Partner*innen, um eine Nachhaltigkeit der Arbeit gegen Hate Speech zu erreichen.

Zeigen wir gemeinsam, dass wir uns nicht einschüchtern lassen, denn wer an der Demokratie spart, verspielt unsere Zukunft! Lass uns gemeinsam dafür kämpfen, dass Projekte wie „firewall“ und andere wichtige Initiativen weiterhin unsere Demokratie schützen können!


Erstunterzeichner*innen:

Pia Lamberty (Geschäftsführerin CeMAS)
HateAid gGmbH
JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis
Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK)
Christina Dinar (KHSB)
filmreflex GbR
Lars Wiegold – Meldestelle REspect!.
Sozialhelden e.V.
Bundesnetzwerk Zivilcourage    
Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen
Das NETTZ gGmbH
Interactive Media Foundation gGmbH
Mut & Courage Bad Aibling e.V.
SoliNet – Beratung gegen Hass und Gewalt im Netz in Rheinland-Pfalz
elly – Hatespeech Beratung
ichbinhier e.V.
basa e.V.
Schaubühne am Lehniner Platz
Thomas Ostermeier, künstlerischer Leiter Schaubühne am Lehniner Platz
Tobias Veit, Geschäftsführer, Schaubühne am Lehniner Platz
Mai-An Nguyen, Leitung Theaterpädagogik, Schaubühne am Lehniner Platz
Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland
Sven Winter (CCO bei gutefrage.net)
Katharina Nocun (Psychologin und Netzaktivistin)
Anna Moors (Politische Kommunikatorin und Influencerin)


Quellen:

Beratungsarbeit von HateAid in Gefahr: Kein Geld gegen den Hass, taz, 18. Juli 2023
JIM-Studie 2022 | mpfs
Interview: Förderstopp für Demokratieprojekt „Firewall“, belltower News, 27. Juli 2023
AdB gegen drastische Kürzungsabsichten bei politischer Bildung und Jugendarbeit, Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e.V., 6. Juli 2023

Weitere Informationen hier

Und hier (via Facebook-Link)

Amadeu Antonio Stiftung

Die Amadeu Antonio Stiftung reagiert auf eine rechtsextreme Alltagskultur, die sich vor allem in den neuen Bundesländern verankert hat. Das Ziel der Stiftung ist es, eine zivile Gesellschaft zu stärken, die dem Problem entschieden entgegentritt. Dafür unterstützt sie Initiativen und Projekte, die kontinuierlich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus vorgehen, sich für eine demokratische Kultur engagieren und für den Schutz von Minderheiten eintreten. Die wichtigste Aufgabe der Amadeu Antonio Stiftung: Lokale Akteurinnen und Akteure über eine finanzielle Unterstützung hinaus zu ermutigen, ihre Eigeninitiative vor Ort zu stärken. Du findest unsere Arbeit wichtig? Unterstütze uns jetzt mit einer Spende!

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